Hannover Messe Industrie eröffnet

Die deutsche Industrie ist zum Auftakt der Hannover Messe positiv gestimmt, fordert aber von der Regierung eine Ausdehnung der "Green Card" für ausländische Spezialisten.

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  • dpa

Die deutsche Industrie hat der Bundesregierung zum Auftakt der Hannover Messe 2000 eine Erweiterung der geplanten Green Card für ausländische Fachkräfte vorgeschlagen. Eine solche Einreiseerlaubnis sollte nicht nur für 20.000 Computerspezialisten, sondern auch für junge Ingenieur-Studenten aus Ländern außerhalb Europas gelten, erklärte der Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA), Eberhard Reuther, zur Eröffnung der Hannover Messe am Sonntagabend vor knapp 2.000 Gästen im hannoverschen Congress Centrum.

Reuther schlug eine eigene "Green-Student-Card" vor. Sie müsse sowohl ein Studium als auch anschließend mehrere Jahre Berufstätigkeit in Deutschland oder auch anderen europäischen Ländern ermöglichen. Auch der Präsident der EU-Kommission Romano Prodi sowie Bundeswirtschaftsminister Werner Müller wiesen auf den Fachkräftemangel in vielen Bereichen der Industrie hin.

Auf der weltgrößten Industrieschau präsentieren sich bis kommenden Samstag 7.250 Aussteller aus 65 Ländern. Zu sehen ist industrielle Hochtechnologie von Robotern und anderen vollautomatisierten Maschinen über moderne Förderanlagen und Vertriebskonzepte bis hin zu alternativen Energietechnologien. Die Messeleitung erwartet wie im Vorjahr rund 300.000 Fachbesucher. Im Mittelpunkt stehen das Zusammenwachsen der traditionellen Industrien mit den neuen Informationstechniken und wie zur Computermesse CeBIT der Nachwuchsmangel. Im Maschinenbau, ebenso in der Elektrotechnik fehlen trotz allmählich wieder steigender Studentenzahlen etliche tausend Ingenieure.

Prodi rief zu einem neuen Unternehmergeist in Europa auf mit mehr Risikofreude und Innovationen, weniger Wettbewerbsbarrieren und bürokratischen Hemmnissen. Nötig sei eine Bildungsoffensive in ganz Europa, unterstützt von der EU-Kommission und den Mitgliedsstaaten, sagte Prodi. Allein in den Informationstechnologien gebe es EU-weit zwischen 500 000 und eine Million unbesetzte Arbeitsplätze.

Bundeswirtschaftsminister Müller sieht für Deutschland Handlungsbedarf bei Hochschulabsolventen. "Für mein Empfinden verlieren wir zu viel hervorragende Studienabgänger ins Ausland, gewinnen parallel dazu immer weniger ausländische geistige Eliten zu Leben und Mitarbeit in unserem Land", sagte Müller. Die Bundesregierung werde sich zudem künftig stärker als bisher die Engagements deutscher Unternehmen im Ausland politisch unterstützen.

Müller forderte die EU-Kommission auf, die notwendige Liberalisierung des Wettbewerbs in Europa und der Welt nicht zu Lasten einzelner Länder wie Deutschland zu gestalten. Die EU- Kommission müsse die deutschen Beiträge zum freien Wettbewerb stärker anerkennen. Dagegen gebe es Wettbewerbsdefizite in anderen EU- Staaten.

Die Green-Student-Card müsste nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa gelten, sagte VDMA-Präsident Reuther. Er regte außerdem eine europäische Elitehochschule für Ingenieure an. In Deutschland sollten Industrie und Politik ihre Anstrengungen zur Nachwuchsförderung in den technischen Berufen verstärken. Der Maschinenbau und andere Investitionsgüterindustrien müssten auch selbst mehr für ihr Image bei jungen Leuten tun.

Niedersachsens Wirtschaftsminister Peter Fischer appellierte an die Entscheidungsträger der Wirtschaft, in Zeiten der Globalisierung das Tempo des Wandels nicht zu überziehen. Die Spezialisierung und Bereinigung von Geschäftsfeldern dürfe nicht einseitig auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden.

Zum Auftakt der Hannover Messe Industrie erklärte der Präsident des Zentralverbandes der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI), Dietmar Harting, jedenfalls, die Investitionsgüterindustrie in Europa komme in diesem Frühjahr in Schwung. Die Industriebranchen vieler westeuropäischer Länder hätten ihre Investitionspläne nach oben korrigiert. Auch in den USA und in Südostasien entwickeln sich die Investitionen positiv.

Die deutschen Hersteller von Automatisierungs-, Energie-, Gebäude- und Messtechnik profitierten bereits in der zweiten Hälfte 1999 von der guten Auslandsnachfrage. Nach schwachen sechs Monaten schloss die Branche 1999 noch mit einem Umsatzzuwachs von 4,1 Prozent auf knapp 110 Milliarden DM (56,2 Milliarden Euro) ab. Allein im vierten Quartal zog der Umsatz um 8,6 Prozent, der Zahl der Auftragseingänge sogar um mehr als elf Prozent an. Im Inland allerdings lasse die Nachfrage nach Investitionsgütern noch zu wünschen übrig, sagte Harting. Die Zahl der Beschäftigten bei den Herstellern ging bei anhaltendem Fachkräftemangel um 3.000 auf gut 400.000 zurück.

Der ZVEI fordert deshalb ebenfalls über die geplante Green Card für 20.000 ausländische Software-Experten hinaus eine stärke Öffnung des deutschen Bildungssystem gerade in den Ingenieurwissenschaften für ausländische Studenten. Auch viele andere Branchen wie Elektrotechnik und Maschinenbau klagen seit Jahren über fehlenden Nachwuchs. Die Green Card könne "nur für einen akuten Engpass helfen und greift zu kurz", sagte ZVEI-Hauptgeschäftsführer Franz-Josef Wissing. Man müsse deshalb "auch über ein Einwanderungsgesetz konstruktiv nachdenken." Deutschland müsse "sein Bildungshaus in Ordnung bringen". Dazu gehöre in einer globalen Weltwirtschaft "auch mehr Weltoffenheit und Internationalität", sagte Harting.

Die Zahl der Studienanfänger für Elektrotechnik nehme auf Grund gemeinsamer Anstrengungen von ZVEI und Hochschulen seit vorigem Jahr und in der Informatik bereits seit 1996 wieder zu. Etliche Hochschulen haben laut ZVEI nach dem Rückgang der Anfängerzahlen jedoch Kapazitäten und Stellen in Ingenieurwissenschaften abgebaut. (dpa) (jk)