"Das Plattform-Business ist wie 3D-Schach"

Der US-Ökonom Marshall Van Alstyne über das ökonomische Potenzial des Internets der Dinge, die Probleme im Wertschöpfungsmodell herkömmlicher Produkthersteller und das Erfolgsgeheimnis großer Plattform-Betreiber wie Apple oder Google.

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Von
  • Antonio Regalado

Der US-Ökonom Marshall Van Alstyne über das ökonomische Potenzial des Internets der Dinge, die Probleme im Wertschöpfungsmodell herkömmlicher Produkthersteller und das Erfolgsgeheimnis großer Plattform-Betreiber wie Apple oder Google.

Mit immer größeren Fabriken liefern sich die Produkthersteller einen harten Wettbewerb um immer billigere Waren. Das Geschäftsmodell ändert sich jedoch, wenn die Produkte plötzlich anfangen, miteinander zu kommunizieren. Dann setzt der sogenannte Netzwerk-Effekt ein: Mit jedem zusätzlichen Nutzer steigt der Wert eines Produkts. Das klassische Beispiel ist das Telefon: Je mehr Menschen es nutzen, desto wertvoller wird jedes einzelne Gerät für alle anderen. Das Telefon wurde so zur Plattform, auf der zahllose neue Geschäftsmodelle aufsetzen, die seine Erfinder und Wegbereiter nicht im Ansatz erahnen konnten.

Dieser Prozess könnte sich nun mit der Vernetzung von Straßenlaternen, Windrädern oder Autos - zusätzlich zu herkömmlichen Computern - wiederholen. Diese Vernetzung firmiert in der Industrie als "Internet der Dinge", dem ein enormer Markt vorausgesagt wird. So manche Firma sucht deshalb den Rat von Marshall Van Alstyne, Wirtschaftswissenschaftler an der Boston University und am MIT, der die Ökonomie von Spam-E-Mails und sozialen Netzwerken erforscht.

Van Alstyne untersucht seit einiger Zeit auch die sogenannte "Plattform-Ökonomie", um den Erfolg von Firmen wie Apple, Amazon oder Uber zu erklären. Technology Review sprach mit Van Alstyne darüber, was herkömmliche Produkthersteller von ihnen lernen können, warum ihr Wertschöpfungsmodell nicht mehr ausreicht und wo das wirkliche ökonomische Potenzial des Internets der Dinge liegt.

Technology Review: Wie erkennt man, ob ein Unternehmen eine Plattform bildet?

Marshall Van Alstyne: Liegt die Wertschöpfung in der Produktion, handelt es sich um einen klassischen Produkthersteller. Es gibt jedoch neue Systeme, deren Wertschöpfung außerhalb des Unternehmens liegt – das ist ein Plattform-Geschäftsmodell. Apple macht in seinem App-Store einen Schnitt von 30 Prozent aus den Innovationen anderer. Ich definiere eine Plattform als einen veröffentlichten Standard, mit dem sich andere verbinden können, zusammen mit einem Governance-Modell, also den Regeln, wer wieviel bekommt. Geschäftsplattformen sind oft daran beteiligt, eine Partie zu spielen: Bei Uber etwa ist es eine Partie zwischen Fahrern und Passagieren, bei Airbnb zwischen Reisenden und freien Gästezimmern.

TR: Entstehen neue Plattformen, wenn alltägliche Dinge wie Toaster mit dem Internet verbunden werden?

Van Alstyne: Auf jeden Fall, ja. Man kann aber nicht bei der Konnektivität stehenbleiben. Ein Fehler von Technikentwicklern ist häufig, bei den Standards, bei den Verbindungen aufzuhören. Sie müssen den Menschen aber auch gute Gründe geben, zur Wertschöpfung beizutragen. Das bedeutet oft, dass man sie die Funktionen der Plattform in einer Weise neu kombinieren lässt, die Sie, der Entwickler, nicht vorwegnehmen können. Die Menschen haben die Funktionen des iPhones mit Hunderttausenden von Apps kombiniert, wie Apple es sich nie hätte vorstellen können. Genau das ermöglicht auch das Internet der Dinge, wenn man es richtig designt.

TR: Können Sie ein Beispiel nennen?

Van Alstyne: Kürzlich hat mich Philips Lighting angerufen. Sie fügen zurzeit zu ihren LED-Lampen eine Reihe von APIs hinzu – Schnittstellen also, damit jeder Millionen Farben, Apps für eine romantische Stimmung oder für die Atmosphäre eines Sonnenuntergangs erzeugen kann, so wie er ihn vielleicht in seinem schönsten Urlaub erlebt hat. Sie könnten auch das Licht in Ihrem Arbeitszimmer an die Situtation auf dem Aktienmarkt anpassen. Das ist das Internet der Dinge – und Philips öffnet es für jeden.

TR: Ist der Übergang zu einer Plattform-Ökonomie für traditionelle Produkthersteller schwierig?

Van Alstyne: Sie tun sich wirklich schwer mit den gedanklichen Modellen. Faszinierend, das zu beobachten. Die meisten Firmen konkurrieren, indem sie ihrem Produkt neue Funktionen hinzufügen. Sie haben sich nie Gedanken gemacht, wie man neue Communities oder Netzwerk-Effekte bekommt. Ich verdeutliche das manchmal mit dem Bild, dass ein Plattform-Business wie 3D-Schach ist.

TR: Nach Ihren Schätzungen agieren die Top-20-Unternehmen der Welt, etwa Google, von eigenen Plattformen aus. Warum sind sie so erfolgreich?

Van Alstyne: Es gibt gute Argumente dafür, dass Plattformen Produkten jederzeit überlegen sind. Denken Sie daran, wie das iPhone die Funktion eine Aufnahmegeräts, eines Taschenrechners oder eine Spielkonsole aufgenommen hat. Der Grund ist, dass man mit einem Einzelprodukt ein bestimmtes Innovationstempo hat. Öffnen Sie Ihr Produkt jedoch, so dass Dritte Mehrwert hinzufügen können, und haben Sie Regeln für Ihr Produkt-Ökosystem so festgelegt, dass Dritte auch dazu beitragen wollen, steigt Ihre Innovationskurve viel steiler an.

Das bedeutet für mich, dass es jede Menge Gelegenheiten gibt, um anderen Martakteuren einen Teil des Geschäfts abzunehmen, bei allen möglichen Arten von Waren. Oder dass existierende Akteure ihren Markt erweitern können, wenn sie aufmerksam sind.

TR: Auf welchen Gebieten könnten demnächst neue Plattformen entstehen?

Van Alstyne: Dort, wo Konnektivität ins Spiel kommt: in Städten, Gesundheitswesen, Bildung, Stromnetzen.

TR: Wo liegen die größten Probleme?

Van Alstyne: In vielen Fällen gibt es noch keine Governance-Modelle. Die Einwohnerdichte kann zum Beispiel mit Hilfe der Verteilung von Mobiltelefonen ermittelt werden. Telekommunikationsfirmen haben diese Daten. Wie bekommen Sie die dazu, die Daten zu teilen? All diese Sensoren sammeln Daten, aber wie teilt man die Wertschöpfung auf? Es sind solche Regeln, die aufgestellt werden müssen, und sie sind die Lücke, die in den meisten Diskussionen über das Internet der Dinge klafft. Sie müssen nicht nur Konnektivität herstellen, sondern auch ökonomische Anreize um diese herum schaffen. (nbo)