Die Woche: Reifezeugnis für Linux

In dem Projekt "One Hundred Paper Cuts" wollen sich die Ubuntu-Macher gezielt um die kleinen Ungereimtheiten und Nervereien kümmern, an die sich viele Linux-Anwender längst gewöhnt haben.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Dr. Oliver Diedrich

Dieser Tage hat das User Experience and Design Team von Ubuntu das Projekt "One Hundred Paper Cuts" gestartet. Dahinter steckt eine einfache Idee: Die Entwickler möchten für die nächste Version hundert Dinge anpacken, die nicht so gut funktionieren, wie sie könnten. Ungereimtheiten und Umständlichkeiten, mit denen man sich als Anwender durchaus arrangieren kann oder für die es einfache Workarounds gibt. Kleinkram, der normalerweise weit unten auf der Prioritätenliste landet, auch wenn er leicht zu reparieren wäre, weil es doch so viele interessantere Bugs zu fixen und spannende neue Features zu implementieren gibt.

Anwender sind aufgerufen, die Bug-Datenbank von Ubuntu nach Fehlern zu durchsuchen,

  • die einfach zu fixen sind,
  • deren Behebung die Usability von Ubuntu für eine größere Zahl von Anwendern verbessert,
  • die die Default-Installation von Ubuntu betreffen.

Und die Anwender machen fließig mit: Derzeit sind an die 400 Bugs als solche "Paper Cuts" markiert.

Natürlich gehören das Fixen von Bugs von das Polieren der verfügbaren Software zu den selbstverständlichen Aufgaben der Linux-Distributoren. Aber es spricht trotzdem für die Ubuntu-Entwickler, dass sie sich jetzt in einem eigenen Projekt gezielt um die kleinen Nervereien kümmern wollen. Und es spricht für Ubuntu (oder allgemeiner: für Linux), dass man sich Zeit für Bugfixes nimmt, die weder technisch besonders interessant sind noch große Begeisterung bei den Anwendern auslösen werden.

So lange ist es nämlich noch gar nicht, da haben in der Linux-Welt Hacker für Hacker programmiert. Es ging vor allem um Funktionen, nicht um Benutzbarkeit – schließlich erhielt der Anwender doch die Quelltexte und konnte selbst ändern, was ihm nicht gefällt. Linux-Distributoren konzentrierten sich auf Stabilität und neue Features; Usability hieß, Konfigurationsdateien hinter (häufig nicht weniger kryptischen) grafischen Frontends zu verstecken. Und ansonsten gab es doch zahlreiche Howtos im Internet ...

Die Ubuntu-Macher sind von Anfang an ein bisschen anders an die Sache herangegangen, haben das System so vorkonfiguriert, dass man auch ohne tiefer gehendes Linux-Know-how damit arbeiten kann, und haben "dumme" Fragen unbedarfter Anwender nicht mit dem in vielen Linux-Foren üblichen RTFM abgebügelt. Damit hat Ubuntu Maßstäbe gesetzt: Längst macht man sich auch bei Novell, Red Hat und einer Reihe anderer Firmen (etwa Sun oder IBM) und Organisationen wie Tossad oder dem OpenUsability-Projekt Gedanken um die Benutzbarkeit von Linux. Das Projekt "One Hundred Paper Cuts" ist da nur die Spitze des Eisbergs: Längst wird an vielen Usability-Fronten gearbeitet.

Alte Unixer kennen vielleicht noch den Spruch "Unix ist benutzerfreundlich, bloß wählerisch bei seinen Freunden". Davon ist Linux schon ein ganzes Stück weggekommen – auch ein Zeichen von Reife. Oder? (odi) (odi)