Stuttgarter Versicherung: Linux auf dem Desktop als Sparwerkzeug

Bei der Stuttgarter Versicherung wurden Software-Investitionen zum größten Kostentreiber in der IT. Mit dem Einsatz von Open-Source-Software auf dem Desktop zog das Unternehmen die Notbremse.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Karl-Eugen Binder
  • Stuttgarter Versicherungsgruppe

Anwenderbericht, präsentiert auf der Konferenz "Open Source Meets Business", Nürnberg, 25.-27.1.2006

Die Stuttgarter ist eine Versicherung für Privatkunden. Zirka 600 Mitarbeiter im Hauptsitz und 250 in den acht Filialdirektionen in ganz Deutschland betreuen ein Versicherungsvolumen von rund 16 Milliarden Euro.

Wichtige Ziele in der IT-Strategie sind niedrige Kosten, hohe Verfügbarkeit, Datensicherheit und Zuverlässigkeit. Die 75 Mitarbeiter der IT-Abteilung sind für etwa 1000 Workstations zuständig. Auf Dienstleister greift man nur bei Spezialaufgaben oder Neuanschaffungen zurück.

Versicherungsrelevante Anwendungen laufen serverseitig auf IBM-Großrechnern und werden via Hostemulation, ursprünglich vorwiegend von OS/2-Clients, abgerufen. Für Spezialanwendungen wie die Software ″CSI Hausverwaltung″ zur Verwaltung von Mietobjekten steht auch Windows unter Citrix zur Verfügung.

Unterlagen zu versicherungsrelevanen Vorgängen werden zentral eingescannt, archiviert und elektronisch zum Mitarbeiter transportiert. Dieser ruft den Vorgang auf und kann ihn am Bildschirm papierlos bearbeiten. Dies gilt auch für Heimarbeitsplätze. Derzeit hat die Stuttgarter Versicherung über 66 Millionen Dokumente in ihrem Archiv. Die Verarbeitung elektronischer Dokumente, insbesondere von PDF-Dateien, ist daher eine wichtige Anforderung an die Desktops.

Lotus Notes versorgt das Unternehmen nicht nur mit Mail- und Kalender-Funktionen. Zirka 400 Notes-Datenbanken, zum Beispiel für Dokumentationen, sind zusammen mit selbst entwickelten Anwendungen im Einsatz.

Über Host On Demand (IBM 3270-Emulation im Browser) können externe Geschäftspartner via Extranet auf versicherungsrelevante Daten der Zentrale zugreifen.

Ab 1999 begann man unternehmensintern, Open-Source-Alternativen zur Kosteneinsparung zu testen. Damals waren die jährlichen Ausgaben für Software gegenüber 1994 auf mehr als das Doppelte gestiegen und hatten sich als wichtiger Kostentreiber erwiesen. Dabei prüfte man auch, ob Linux-Desktops die OS/2-Clients der Versicherung ersetzen können. 2002 erbrachten die Test-Systeme mit dem KDE-Desktop, OpenOffice, Acrobat Reader 5, der Imagesoftware AFP2PDF, Mozilla, X3270 und Citrix-Client die gewünschten Leistungen.

Die Versicherung nutzte die CeBIT 2002 zur Kontaktaufnahme mit Suse, um ein Pilotprojekt zu realisieren. Im Mai kam es zur Abstimmung der Konzepte und im Juni startete man mit 60 Linux-Workstations. Zur bereits im Unternehmen erfolgreich getesteten Software kamen im Pilotprojekt ein Java-Client für SAP und einige Multimedia-Anwendungen für das Marketing hinzu.

Neu für die Versicherung war dabei der Einsatz von PXE (LAN-Boot), mit dem sich der Client zentral administrieren und konfigurieren lässt, DHCP (Dynamic Host Configuration), LDAP (Lightweigt Directory Access Protokoll), NFS (Network File System), CUPS (Common UNIX Printing System) und der Betrieb in einer gemischten Token-Ring-/Ethernet-Umgebung. Erfahrungen mit Open Source auf der Serverseite hatte man bereits parallel zu den Evaluierungen auf der Desktopseite mit dem Einsatz von Apache und Tomcat als Internetservern, Host On Demand zum Großrechnerzugriff, Verry (Verwaltungsprogramm für Versicherungsagenturen, Einsatzgebiet Mitgliederverwaltung), Squid (Zugriffskontrolle zum Internet), dem Linux-Notes-Server Domino und SAP R/3 unter Suse Linux gesammelt.

Das Fazit war positiv: Linux läuft sehr stabil (Client und Server), die zentrale Administration gelingt und die automatischen Updates funktionieren. Unterschiedliche Hardware-Kombinationen auf der Client-Seite waren kein Hindernis. Bestehende Hardware (CPU ab 450 MHZ, 256 MB HS, 4 GB Platte) ließ sich weiterhin verwenden. Bei einem Umstieg auf Windows hätten 80 Prozent der Hardware sofort erneuert werden müssen.

Als Vorteil gegenüber OS/2 erwies sich das Fehlen von dessen Hardware-Einschränkungen zum Beispiel bei Druckern oder Grafikkarten. Hinzu kam aktuelle Software etwa zum Erstellen von PDF-Dokumenten oder zum Zugriff auf das Internet. Unter OS/2 war ein vernünftiger und aktueller Browser nicht mehr verfügbar. Der Microsoft-Browser wurde aus Sicherheitsgründen als nicht einsetzbar bewertet.

Einige Punkte ließen sich nicht zur vollständigen Zufriedenheit lösen. Die Kompatibilität von OpenOffice zu Microsoft Office hört beim Einsatz von Macros und Visual-Basic-Skripten auf. Windows-Emulatoren funktionieren nur begrenzt und erfordern einen hohen Testaufwand. Erst mit Anpassungen am Windows-Emulator Wine von Codeweaver an eine konkrete Notes-Version konnte der Notes-Client lauffähig gemacht werden. Der Betrieb von Lotus Notes über Citrix funktionierte zwar, war aber aus technischer und organisatorischer Sicht keine wirkliche Option. Die Integration von Windows-Anwendungen bewertet die Versicherung daher als möglichen Stolperstein bei einer Migration zu Linux, sie ist auf jeden Fall sehr testintensiv.

Im April 2003 entschied sich die Versicherung für den flächendeckenden Einsatz der Clients in der Hauptverwaltung, im Laufe von 2004 stellte man auch die Filialdirektionen um und damit insgesamt knapp 900 Clients. Für jeden Mitarbeiter sah man einen halben Tag Linux-Grundlagen-Schulung vor (in Gruppen zu acht), optional konnte man zusätzlich eine gleich lange OpenOffice-Schulung (Writer/Calc) in Anspruch nehmen.

Für die hohe Akzeptanz des Projektes entscheidend war die repräsentative Auswahl von Anwendern aus den verschiedenen Anwendungsfeldern als Testpersonen und deren regelmäßige wöchentliche Treffen, in denen sie ständig über den Projektstand auf dem Laufenden gehalten wurden.

Eingesetzte Open-Source-Software

Apache
Lizenz: Apache License

Squid
Lizenz: GNU General Public License (GPL)

OpenOffice
Lizenz: GNU Lesser General Public License (LGPL)

KDE
Lizenz: GNU General Public License (GPL)

Mozilla
Lizenz: Mozilla Public License

Über die Stuttgarter Versicherungsgruppe

Die Stuttgarter Versicherungsgruppe bietet Versicherungsschutz für Privathaushalte im gesamten Bundesgebiet. Zur Stuttgarter Versicherungsgruppe gehören:

  • Stuttgarter Versicherung AG
  • Stuttgarter Lebensversicherung a.G. (auf Gegenseitigkeit)
  • Familienschutz Leben
  • Familienschutz Versicherung
  • Direkte Leben Versicherung
  • Plus Lebensversicherung

Sie entstand aus der im Jahre 1908 in Stuttgart gegründeten genossenschaftlich organisierten Württembergischen Privat-, Kranken- und Sterbekasse. Zirka 850 Mitarbeiter in ganz Deutschland betreuen ein Versicherungsvolumen von rund 16 Milliarden Euro.

Kontakt

Die Stuttgarter
Karl-Eugen Binder
Telefon: 0711 / 6651550
Karl-Eugen.Binder@Stuttgarter-Versicherungsgruppe.de
http://www.stuttgarter.de (bbu)