Die Woche: Die Zukunft Europas heißt Open Source

Eine Studie der EU gibt ein deutliches Signal pro Open Source. Was machen Politik und Wirtschaft daraus?

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Alexandra Kleijn

Ende vergangener Woche veröffentlichte die EU-Kommission einen umfangreichen Bericht zum Einfluss von Open Source auf die europäische Wirtschaft. Die Studie untersucht nicht nur die Auswirkungen freier Software auf die Wirtschaft, sondern gibt Regierungen und Behörden Handlungsempfehlungen an die Hand, wie der Einsatz von Open Source und offenen Standards gefördert werden kann (siehe Artikel EU-Studie: Open Source ist gut für die Wirtschaft).

Einzigartig ist, dass die Untersuchung den Wert von Open Source konkret beziffert: 12 Milliarden Euro oder gut 130.000 Mannjahre würde es kosten, diesen Software-Pool zu erstellen. Unternehmen sparen durch den Einsatz von Open Source viel Geld, das für Innovationen oder eine Verbesserung der Rentabilität zur Verfügung steht. Die Entwicklung von und Dienstleistungen rund um Open Source schaffen Arbeitsplätze und sind eine Chance vor allem für kleine und mittlere Unternehmen.

Der Einsatz und die Förderung von freier Software werden daher explizit befürwortet. Die in der Studie ausgesprochenen Handlungsempfehlungen sind ein klares Signal an die Politik, dürften aber auch manchem IT-Manager einen Denkanstoß geben.

Open Source, so die Studie, kann sogar einen wesentlichen Beitrag zu den hochgesteckten Zielen des EU-Sondergipfels von Lissabon leisten. Mit dem 2000 in der portugiesischen Hauptstadt beschlossenen Programm will sich die Europäische Union bis 2010 zur wettbewerbsfähigsten und dynamischten Wirtschaftsregion der Welt entwickeln. Das dürfte allerdings schwer werden, hat sich doch der Abstand zu den USA seit der Verabschiedung der Lissabon-Ziele eher noch vergrößert. Freie Software ist ein Mittel, die Wachstumslücke zwischen dem alten und dem neuen Kontinent zumindest im Bereich IT schwinden zu lassen: Bis 2010 könnte Open Source vier Prozent des europäischen Bruttoinlandprodukts ausmachen.

Und Open Source bietet eine Chance speziell für Europa: Der Studie zufolge kommen 63 Prozent der Open-Source-Entwickler aus der Europäischen Union – viel Potenzial für die Entwicklung von Firmen rund um freie Software. Interessanterweise ziehen jedoch viele europäische Open-Source-Startups nach ersten Erfolgen in Richtung USA. Häufig stellen ihre Risikokapitalgeber die geografische Nähe als Bedingung für den Geldsegen. Als Zentrum des Universums gilt dabei nach wie vor das Silicon Valley. Wenn die Kommission die Empfehlungen ernst nimmt, sollte sie also die Mitgliedsstaaten dazu animieren, ein Klima zu schaffen, in dem es für Software-Entwickler attraktiv wird, in Europa zu bleiben.

Nach wie vor ungeklärt ist die Frage, wie Europa künftig mit Softwarepatenten umgehen will. Auch wenn die heftig umstrittene EU-Richtlinie Mitte 2005 am massiven Widerstand des EU-Parlaments scheiterte, forciert eben jene EU-Kommission, die die wirtschaftlichen Vorteile von Open Source untersuchen lässt, nach wie vor eine europaweite Patentregulierung – was die große Mehrheit der Entwickler als schädlich für freie Software ansieht. Nicht unterschätzen darf man zudem die Lobby der Software- und Content-Industrie, die in Kommission und Parlament ihren Kampf für den Schutz des geistigen Eigentums führt.

Die Studie ist ein deutliches Signal pro Open Source. Ob ihre Empfehlungen tatsächlich umgesetzt werden, muss die Zukunft zeigen. Wird es Europa gelingen, das Innovationspotential von Open Source für weiteres Wachstum zu nutzen? Wird das Open-Source-Entwicklungsmodell vielleicht sogar mit der Zeit das Closed-Source-Modell, in dem Geld mit dem Lizenzverkauf verdient wird, ablösen? Oder bleibt alles, wie es ist, und erschweren künftig womöglich neue legislative und technische Regulierungen die Umsetzung des Potenzials, das in Open Source steckt? Man wird sehen. (akl) (akl)