Amazons Musikstreaming-Dienst ist anders

Die Musikauswahl wirkt recht eigenwillig und Usability stand nicht im Zentrum des Designs. Amazon Prime Music wurde kurzerhand auf den bekannten Online-Shop aufgepfropft.

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Amazon hat seinen Musikstreaming-Dienst in den USA freigegeben, aber noch nicht öffentlich angekündigt. Das Angebot heißt Amazon Prime Music und ist nur für US-Kunden mit Prime-Abonnement verfügbar. Für sie kostet es nichts extra. Beim ersten Probehören durch heise online zeigt sich, dass es sich um ein unvergleichliches Angebot handelt. Die Benutzung ist gewöhnungsbedürftig und die Musikauswahl – nun, sagen wir "unzuverlässig". Amazon ist offensichtlich darauf bedacht, sein Prime-Abo ein bisschen zu versüßen, ohne den Einzelverkauf von Musik stark zu beeinträchtigen.

Zunächst ist vorauszuschicken, dass Amazon Prime Music (APM) noch schwer zu finden ist. Auf der Startseite und in der Suchzeile gibt es keine Hinweise. Vermutlich wird eine umgebaute Website erst nach der offiziellen Ankündigung freigegeben. Im Prime-Mangement-Bereich prangt aber schon ein Banner, dessen Link zu APM führt. Und wer sich in APM umsieht, landet immer wieder im Bereich "Digital Music". Es bleibt abzuwarten, ob das so bleibt.

Screenshots von Amazon Prime Music (7 Bilder)

Die Einstiegsseite von Amazon Prime Music. Zum Beginn gibt es 502 Playlists je nach Stilrichtung, Jahrzehnt, Künstler oder Gemütslage. Was darf es ein? "Happy Modern Pop" oder lieber "Eternal Bummer"?
(Bild: Amazon.com)

Beim Einstieg in APM stehen 500 vorgefertigte Playlisten zur Auswahl, dazu einige ganze Alben und zahlreiche einzelne Songs. Nichts davon lässt sich aber sofort abspielen. Zunächst muss der Kunde das gewünschte Produkt zu seiner Bibliothek hinzufügen. Das ist für eine ganze Playlist möglich beziehungsweise für einzelne Teile davon. Gleiches gilt für Alben, die komplett zum Streamen freigegeben sind.

Erst nach einem Wechsel in die eigene Amazon-Musikbibliothek kann der Prime-Abonnent die Musikgenuss fröhnen. Dieser ist auf Streamen begrenzt. Downloads sind, wie bisher, kostenpflichtig. Und diesen Verkauf versucht Amazon natürlich auch in der individuellen Bibliothek anzukurbeln: Am rechten Bildschirmrand werden laufend andere Lieder empfohlen. Manche sind wiederum in APM enthalten, häufiger sind aber gegen Obulus feilgebotene MP3-Dateien.

Wer sich in der Kaufhausabteilung "CDs and Vinyl" umsieht, wird nicht durch Hinweise auf APM vom Geldausgeben abgelenkt. In der Abteilung "Digital Music" hingegen prangt bei den in APM enthaltenen Stücken sehr wohl der blaue Button "Add to Library" von APM.

Statistisch gesehen hält APM derzeit rund 1,15 Millionen Musikstücke bereit, von Klassik bis ins Jahr 2013. Es handelt sich aber fast ausschließlich um Musik, an denen die Label Sony Music und Warner Music Rechte halten. Dazu kommt eine Lawine an Nachahmern sowie Karaoke-Material.

Original-Tonkunst anderer Label findet sich nur dann, wenn sich etwas auf Sampler oder andere Zusammenstellungen verirrt hat. Michael Jackson ist beispielsweise nur durch seine Beiträge auf dem Filmsoundtrack zu Free Willy vertreten. Auch von Radiohead findet sich nur ein einziger Song. Im Independent-Segment sieht es besonders traurig aus. Und Material der letzten sechs Monate haben wir gar keines gefunden. All das bestätigt die Vorausberichte.

Bei den vertretenen Künstlern gibt es kein erkennbares Muster dafür, was gestreamt werden darf und was nicht. Manchmal sind einzelne Alben komplett verfügbar, andere Alben gar nicht. In anderen Fällen wiederum sind die (nicht) streambaren Lieder quer über ausgewählte Alben gestreut. Eine Korrelation zu Erscheinungsdatum oder Popularität erschließt sich zumindest auf den ersten Blick nicht.

(Bild: trekkyandy, CC BY-SA 2.0 )

Das Ziel, etwas zu verkaufen, steckt tief in der DNA von Amazon Prime Music. Das dürfte so manchen Musikliebhaber abschrecken, doch kaum jemand wird wegen APMs ein Prime-Abo lösen. Es ist vielmehr eine Zugabe, die billig wirkt und wohl auch so eingekauft wurde. Amazon soll von Sony und Warner erheblich Rabatt auf die üblichen Lizenzpreise erhalten haben.

Immerhin, läuft eine Playlist einmal, kann in anderen Browsertabs ungestört weitergearbeitet werden. Die Auswahl der verfügbaren Musik ist sicher nicht in Stein gemeißelt. Das derzeitige Produkt erweckt den Eindruck einer großen Spielwiese für Big Data. Neues, Altes, Berühmtes und Unbekanntes sind wild durcheinander gewürfelt. Amazon wird mit der Zeit lernen, was bei welchen Kunden wann die Umsatzzahlen wie beeinflusst, und seinen APM-Katalog entsprechend anpassen. Vielleicht sind ja die Nutzer und ihre Gewohnheiten das eigentliche Produkt. (ds)