Die Woche: Microsofts Patentkarusell dreht sich wieder

235 Microsoft-Patente soll Linux verletzen. Müssen Linux-Anwender jetzt zittern?

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Von
  • Alexandra Kleijn
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235 Patente sieht Microsoft durch Linux verletzt, 42 davon im Kernel selbst, weitere 65 in grafischen Benutzeroberflächen wie KDE und Gnome. Der MS-Office-Alternative OpenOffice unterstellt Microsoft 45 Patentverstöße. Doch auch, wenn die detaillierte Aufschlüsselung nach Programmarten suggerieren soll, dass man ganz genau weiß, wovon man spricht: Es bleibt bei einer bloßen Zahlenstatistik. Welche konkreten Patente sollen diese Programme denn verletzen? Microsoft schweigt.

Es ist nicht das erste Mal, dass der Redmonder Software-Riese Patente gegen Linux in Stellung bringt. Bereits 2004 schüttelte Microsoft-Chef Steve Ballmer 228 angebliche Patentverletzungen aus dem Ärmel. Das Kooperationsabkommen zwischen Microsoft und Novell im vergangenen Herbst intepretierte Steve Ballmer schnell als implizite Anerkennung seitens Novell, dass Linux Microsoft-Patente verletze. Nicht zuletzt wegen dieser Lesart ist der Deal in der Open-Source-Community äußerst umstritten.

FUD (fear, uncertainty and doubt) nennt man eine Taktik der Redmonder, die darin besteht, Konkurrenzangebote in ein zweifelhaftes Licht zu rücken. Doch wer soll sich durch die Wortgewalt bedroht fühlen – und wie real ist die Drohung? Zum einen sind da die Linux-Anwender: Unternehmen und Systemhäuser, die Linux und andere Open-Source-Lösungen einsetzen und implementieren. Auf der anderen Seite stehen Linux-Distributoren wie Red Hat und die Schwergewichte unter den IT-Dienstleistern, etwa IBM und HP.

Anwender möchte Microsoft durch das Säen von Zweifel an dem legalen Status von Linux (zurück) auf die Windows-Weiden treiben. Große IT-Dienstleister und Linux-Anbieter will man dazu bewegen, sich auf ähnliche Patentabkommen wie das mit Novell einzulassen. Und Microsoft für die Verwendung von Linux entsprechende Lizenzgebühren zu bezahlen, versteht sich.

Schädlich für alle, die mit Nicht-Microsoft-Produkten ihr Geld verdienen, findet Elmar Geese, Vorsitzender des Linux-Verbandes, die Drohgebährden. Vor allem kleinere Firmen und Systemhäuser, die ihre Linux-Systeme selbst stricken, dürften verunsichert sein. Tatsächlich sind Software-Patente eine mächtige Waffe in den Händen eines kundigen Anwaltes. Die wenigsten Firmen haben die nötigen Ressourcen, sich einer Patentklage über längere Zeit erfolgreich zu widersetzen.

Trotzdem hält Geese Microsofts Äußerungen für einen Sturm im Wasserglas und wertet sie als Versuch, den Markt zu beinflussen. Um klagen zu können, müsste Microsoft die Karten auf den Tisch legen und genau darlegen, um welche Patente es gehe. Dabei ist nicht mal sicher, ob die Patentansprüche des Unternehmens unter dem scharfen Blick des Gerichts bestehen würden.

Zudem setzen viele Linux-Anwender auch Microsoft-Produkte ein. Es ist unwahrscheinlich, dass der Monopolist die eigenen Kunden vor Gericht bringt: Man beißt nicht die Hand, die einen füttert. Und noch ein Grund spricht dagegen, dass Microsoft gegen kleinere Unternehmen vorgeht: Hier ist einfach nichts zu holen.

Linux-Anwender, die ihre Software von den Großen der Branche beziehen, können sowieso erst einmal auf Schutz durch ihren Lieferanten setzen. Red Hat beispielsweise gewährt seinen Kunden einen ausdrücklichen Rechtsschutz gegen Forderungen wegen angeblichen Rechtsverletzungen durch den Linux-Einsatz. Auch andere große Linux-Anbieter dürften ihre Kunden im Fall der Fälle nicht im Regen stehen lassen.

Müssen dann die großen Linux-Anbieter zittern? Open Source ist Big Business für IBM, HP, Sun, Red Hat und Oracle; das macht sie zu einem potenziellen Angriffsziel für Microsoft. Sollten Ballmer und Konsorten jedoch beschließen, gegen diese Branchenschwergewichte in den Ring zu steigen, können diese ihre eigenen Patent-Portfolios zur Verteidigung gegen Microsoft in Stellung bringen. Vage Anschuldigungen wegen Patentverletzungen, ohne Fakten zu nennen? Das ruft SCO in Erinnerung. Der Unix-Spezialist hatte sich mit IBM, Novell und der Open-Source-Gemeinde angelegt wegen vermeintlich unrechtmäßig in Linux übernommenen Code. Sogar deutschen Linux-Firmen wollte das Unternehmen 2004 mit Lizenzforderungen an den Kragen. Die Anschuldigungen hielten vor Gericht nicht Stand. Inzwischen ist die US-amerikanische Firma das Gespött der IT-Branche.

Aber Microsoft wird es nicht auf eine Klage ankommen lassen. Von negativen Schlagzeilen und SCO-Assoziationen noch einmal abgesehen, steht dafür einfach zu viel auf dem Spiel. Zum Beispiel die vielbeworbene Interoperabilität zwischen Windows und eben Linux, von der sich Microsoft auch in heterogenen IT-Umgebungen mehr Marktanteile verspricht. Außerdem ist der Windows-Hersteller durch das Abkommen mit Novell selbst zum Lieferanten von Open-Source-Software (SLES) geworden. Allein dadurch würde es Microsoft im Gerichtssaal an Glaubwürdigkeit fehlen. Zudem müsste man vor Gericht die Hosen runterlassen – mit dem Risiko einer Blamage.

Johannes Loxen von SerNet, maßgeblich am Samba-Projekt beteiligt, verweist in diesem Zusammenhang auf den Rechtsbegriff "Prior Art" (Stand der Technik), der im Patentrecht alle relevanten Informationen bezeichnet, die schon vor Einreichung eines Patents öffentlich zugänglich waren. Nur Patente, die über den zum Zeitpunkt der Beantragung aktuellen Stand der Technik hinausgehen, haben vor Gericht Bestand.

Dazu kommt, so Loxen, dass Microsoft kaum mit einem Patent vor Gericht ziehen wird, dass nicht auch in Europa durchsetzbar ist. Da in der EU jedoch ein anderes Patentsystem gilt als in Amerika, dürfte sich das bei der aktuellen Rechtslage als ziemlich schwierig gestalten.

Das eigene geistige Eigentum in Form von Patenten zu sichern, ist so alt wie die IT-Industrie. Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, hat inzwischen jemand patentiert. Große IT-Firmen horten schwindelerregende Mengen an Software-Patenten. Die Wahrscheinlichkeit, dass Linux tatsächlich irgendwelche Microsoft-Patente verletzt, ist also durchaus gegeben. Ebenso ist jedoch davon auszugehen, dass Microsoft in seiner Software wiederum geistiges Eigentum anderer Software-Hersteller nutzt.

Die Problematik betrifft das gesamte Software-Ökosystem, nicht nur Open Source. Das Patentportfolio von Patentweltmeister IBM etwa ist um ein Vielfaches größer als das von Microsoft. Umfangreiche Cross-Licensing-Deals zwischen den Großen in der IT sorgen für ein Gleichgewicht.

Funktioniert diese Art von Übereinkunft vielleicht nicht mit Linux? Red Hat hat wiederholt durchblicken lassen, dass ein Deal a la Novell für das Unternehmen nicht in Frage kommt. Linux-Schöpfer Linus Torvalds fordert Microsoft locker flockig dazu auf, die anstoßgebenden Patente klar zu benennen, damit die Linux-Gemeinde die entsprechenden Code-Teile neu schreiben könne.

Weder mit bloßer Rhetorik noch mit tatsächlichen Klagen wird es Microsoft auf lange Sicht schaffen, den Markt einzuschüchtern. Gleichwohl verschlingen die endlosen Debatten und Rechtsfälle um Software-Patente nicht nur Geld, sondern auch die Arbeitskraft zahlloser kluger Köpfe. Bleibt zu hoffen, dass Europa der Patentwildwuchs und die Willkür erspart bleibt, die in Amerika zunehmend auf Widerstand stößt und dass die Einführung von reinen Software-Patenten in der EU durch die Hintertür nicht gelingt.

Zum Patentwesen sowie zu den Auseinandersetzungen um Softwarepatente und um die EU-Richtlinie zur Patentierbarkeit computer-implementierter Erfindungen siehe den Online-Artikel in c't Hintergrund (mit Linkliste zu den wichtigsten Artikeln aus der Berichterstattung auf heise online und zu den aktuellen Meldungen): (akl)