Der Genom-Rebell
Der Genetik-Doktorand Razib Khan hat die Gene seines ungeborenen Sohnes auf eigene Faust sequenziert. Das sei sein "Grundrecht", das ihm keine Regierung verwehren könne, argumentiert er. Mangels Regulierung könnten ihm bald andere Eltern folgen.
- Antonio Regalado
Der Genetik-Doktorand Razib Khan hat die Gene seines ungeborenen Sohnes auf eigene Faust sequenziert. Das sei sein "Grundrecht", das ihm keine Regierung verwehren könne, argumentiert er. Mangels Regulierung könnten ihm bald andere Eltern folgen.
Die Sequenzierung des menschlichen Genoms ist heute ein fast schon alltägliches Verfahren. Doch bislang wurden dafür immer nur Genome von erwachsenen Menschen genommen. Anfang Juni ist nun ein Kind auf die Welt gekommen, dessen Gene schon vor der Geburt entziffert waren. Sein Vater, der Genetiker Razib Khan, hatte in den vergangenen Monaten die genetische Grundausstattung seines Sohnes im Do-It-Yourself-Verfahren aus einer Gewebeprobe der mütterlichen Plazenta bestimmt.
„Es gibt bislang keine Anleitung dafür, wie man das macht, auch keine Checkliste“, sagt Khan, der an der University of California in Davis über die Populationsgenetik von Katzen promoviert. Genome von Föten zu sequenzieren ist tatsächlich noch unbekanntes Terrain. Khan war dabei weniger von medizinischen Überlegungen motiviert. Ihm ging es darum, die Technik weiter voranzutreiben, weil es irgendwie „cool“ gewesen sei.
Khan ist in Genetik-Kreisen auch als konservativer Blogger bekannt, der provokante Ansichten zu Genetik, Rasse und Reproduktion vertritt. Er kritisiert, dass die US-Regierung DNA-Tests reguliert. Die Sequenzierung von fötalen Genomen werden in den kommenden Jahren ein Routinevorgang werden, prophezeit Khan. „Die Zukunft ist schon da, also geht damit um“, schrieb er im Mai.
Angesichts der gesunkenen Kosten für eine Genomsequenzierung scheint seine These realistisch. „In fünf Jahren wird eine Sequenzierung in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten Routine sein“, glaubt Art Beaudet, Chef der Molekulargenetik am Baylor College of Medicine. Das College entwickle bereits Pläne für eine „Exom-Sequenzierung“, also die Entzifferung von wichtigen genetischen Bereichen während einer Schwangerschaft.
Wie solche Pläne ethisch zu beurteilen sind oder wer dann die Gendaten kontrolliert, ist jedoch alles andere als klar. Die Debatte darum hat noch gar nicht richtig begonnen. Das American College of Medical Genetics and Genomics etwa, das Richtlinien für medizinische Genetiker aufgestellt hat, habe in dieser Frage noch keine Position formuliert, sagt Diana Bianchi, geschäftsführende Direktorin des Mother Infant Research Institute an der Tufts University.
Das Problem lautet: zu viel Information. Bei einer Sequenzierung wird im Prinzip die Veranlagung für über 3000 Erbkrankheiten untersucht, hinzu kommen Informationen über Gene, die mit einem erhöhten Risiko für bestimmte Erkrankungen verbunden sind. Eine Mutation des Gens APOE etwa kündigt mit ziemlicher Sicherheit eine Alzheimer-Erkrankung im fortgeschrittenen Alter an. Bislang weigern sich viele Ärzte jedoch, Kinder auf Risiken für Krankheiten zu untersuchen, die erst bei Erwachsenen auftreten.
Sind solche Tests schon umstritten, ist die Sequenzierung im Mutterleib noch heikler. Denn die Entdeckung einer problematischen Mutation könnte Eltern zu einer „unumkehrbaren Handlung“ wie einer Abtreibung bewegen, sagt Bianchi. Dabei ist die genetische Ausstattung mitnichten ein Schicksal – manche Menschen haben bestimmte Mutationen, ohne dass die entsprechenden Symptome sich je zeigen.
Daraus erklärt sich der Widerstand der Ärzteschaft, den auch Khan zu spüren bekam. Die genetische Familienberatung habe versucht, ihm die Sequenzierung des Genoms seines Sohnes auszureden, sagt Khan. „Warum wollen Sie das machen? Es gibt dafür noch keine Protokolle. Es gibt auch keine Gründe“, bekam er zu hören.
Mehrere von Technology Review kontaktierte Experten, darunter Beaudet und Bianchi, verweisen darauf, dass es erst einen einzigen Report zu einem Kind gibt, dessen Genom 2012 schon vor der Geburt dekodiert worden war. Das Kind hatte einen schweren Gendefekt und überlebte nur zehn Tage. Wissenschaftler am Massachusetts General Hospital haben seitdem fünf weitere Fötalgenome entziffert – allerdings immer nur im Rahmen medizinischer Studien über Fehlbildungen. In China sollen ebenfalls im Reagenzglas gezeugte Embryonen getestet worden sein, Details sind jedoch nicht bekannt.
„Ich vermute, dass bereits einige Menschen diese Prozedur privat haben vornehmen lassen“, sagt Jay Shendure, Fötalgenomiker an der University of Washington. Khans Fall sei jedoch der erste Fall, der öffentlich bekannt wurde. Auch Shendure erwartet, dass Khans Beispiel Schule machen wird. Schon einfache Gentests seien inzwischen für 99 Dollar zu haben.
Der 99-Dollar-Test der Firma 23andMe war andererseits 2013 von der US-Aufsichtsbehörde FDA verboten worden. 23andMe habe in seiner Werbung unbelegte Behauptungen aufgestellt, hieß es zur Begründung.
Razib Khan hingegen bezeichnet den Zugang zu DNA-Daten als „Grundrecht“, das Regierung und Ärzteschaft zu verweigern versuchten. Bereits 2011 drohte er, dass die Verbraucher die Daten eben selbst erheben würden, wenn man ihnen den Zugang verwehre. Sie würden dann Sequenziermaschinen kaufen und die Untersuchung in Heimlaboren selbst durchführen. „Wie kann die Regierung es wagen, dieses Grundrecht in Frage zu stellen“, tönte Khan in seinem Blog.
Als er von seiner Frau erfuhr, dass sie schwanger war, sei er sofort entschlossen gewesen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Eine Gewebeprobe seines ungeborenen Sohnes zu bekommen, erwies sich aber als schwierig. Zunächst ließen er und seine Frau in einem Standardtest die Chromosomen des Fötus untersuchen. Hierzu wurde DNA aus der Plazenta an die Firma Signature Genomics geschickt. Das Ergebnis lautete: alles normal.
Doch Khan wollte es genauer wissen. Er bat um die Rohdaten. Als Signature Genomics ablehnte, bedrängte er die Firma, den Rest der Gewebeprobe an sein Labor zu schicken. „Auch das wollten sie nicht hergeben“, sagt Khan. „Keiner wusste, was zu tun ist, ich musste das alles alleine herausfinden.“
Tatsächlich schicke Signature Genomics Gewebeproben routinemäßig an die Ärzte zurück, damit die weitere Tests vornehmen können, sagt Britt Ravnan, Direktorin eines der Forschungslabore der Firma. Die gab die Probe erst heraus, nachdem Khan, seine Frau und deren Ärzte alle nötigen Formulare ausgefüllt hatten. „Wenn die Probe unsere Firma verlassen hat, können wir nicht mehr entscheiden, was der Kunde damit macht“, sagt Ravnan, die sich auf die Analyse von Chromosomen spezialisiert hat.
Sie habe aber „volle Sympathie“ für Khans Wunsch, mehr über seinen Sohn zu erfahren. „Das ist sein Recht – es ist seine Information und die seines Fötus, und man sollte nicht paternalistisch darangehen“, sagt Ravnan. Sie warnt jedoch, dass Tests in einem Universitätslabor irreführende Ergebnisse bringen könnten. Mit seiner mangelnden Erfahrung könnte jemand wie Khan den Befund falsch oder überinterpretieren.
Als Khan Anfang des Jahres die DNA erhielt, hätte er einfache Tests auf bestimmte Gene machen lassen können. Doch dann sagte er sich: warum nicht gleich die ganzen Daten analysieren? „Da merkte ich, dass eine vollständige Genomsequenzierung einfacher war.“ Er überredete einen Laborkollegen, die DNA des ungeborenen Sohns durch einen Hochgeschwindigkeits- Sequenzierer zu schicken, als der gerade nicht ausgelastet war. Sonst wurden darin Gene von Fischen, Pflanzen oder anderen Mehrzellern untersucht.
Die Rohdaten belegten 43 Gigabyte Speicherplatz. Khan machte sich daran, sie zu organisieren und zu interpretieren. Dazu nutzte er eine frei zugänglich Online-Software namens Promethease, die Gendaten auf Variationen analysiert. „Ich bekam 7000 Ergebnisse“, erinnert sich Khan.
Promethease ist Teil eines wachsenden Do-It-Yourself- Werkzeugkastens fĂĽr genetische Studien. Leicht bedienbar ist die Software nicht, aber seit dem Verbot des 23andMe-Test hat sie sich zur ernsthaften Alternative entwickelt. Beim Einloggen muss ein Nutzer mehrere Warnhinweise passieren, darunter einer, keine Entscheidungen zu treffen, ohne einen Arzt zu Rate zu ziehen.
Als Khan dann das Genom seines künftigen Sohnes erkundete, gab es kaum Überraschungen. Er entpuppte sich als ganz normales Kind. „Das meiste ist ziemlich langweilig, und das ist gut so“, sagt Khan. (nbo)