Hintergrund: Medizinische Infos im Internet

Gesundheitsportale im Internet erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Der Klick zum Cyberdoc ist zwar meist gratis, aber nicht immer ohne Risiko.

vorlesen Druckansicht 4 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Wolfgang Stieler

Gesundheitsportale im Internet erfreuen sich wachsender Beliebtheit: Nach einer Umfrage des New Yorker Martkforschungsinstituts Cyber Dialogue rangieren Gesundheitsinformationen auf der Beliebheitsskala von Internet-Nutzern an dritter Stelle hinter Online-Shopping und Nachrichten. Zwischen 1997 und 1998 sollen rund 17 Millionen US-Amerikaner nach medizinischen Inhalten im Netz gesucht haben; in diesem Jahr sollen es Prognosen zufolge schon 30 Millionen werden.

Im deutschsprachigen Teil des Internet ist der Boom etwas verhaltener, scheint aber mittlerweile auch in Fahrt zu kommen. Allein die Seiten des Online-Gesundheitsangebots Lifeline, einer Tochter der Bertelsmann AG, werden nach Angaben der Betreiber monatlich von mehr als einer Million Menschen besucht. Dort können Ratsuchende ihre medizinischen Probleme per E-Mail schildern. Die betreffende Frage erscheint in einem Diskussionsforum und wird dann entweder von Fachärzten oder von anderen Teilnehmern aus dem Netz beantwortet.

Neben dem Bertelsmann-Ableger und Projekten anderer großer Verlagshäuser tummeln sich mittlerweile auch etliche unabhängige Anbieter medizinischer Online-Infos im Netz. Dazu gehören etwa Netdoktor, DeutschlandMed, Almeda, Medizin-Forum, Arztpartner, Deutsches Gesundheitsforum, Dr. Nexus und Gesundheit aktuell.

"Viele Patienten haben den Eindruck, von ihren Ärzten nicht mehr optimal beraten zu werden, und suchen deshalb im Internet selbst nach Informationen über ihre Krankheit", meint der Cybermedizin-Experte und Arzt Gunther Eysenbach. Täglich wenden sich Tausende von Patienten mit Wehwehchen oder auch schweren Krankheitssymptomen an die "Cyberdocs". Zwar verbietet die deutsche Berufsordnung für Ärzte die "Ferndiagnose" per Computernetz, und auch der Versandhandel mit Pharmaka ist hierzulande schlicht verboten, aber im Internet sind nationale Grenzen nicht viel wert. Eysenbach, der sich an der Universität Heidelberg mit der Cybermedizin beschäftigt, machte den Test: Unter dem Namen "Peter" schrieb er eine E-Mail an 58 medizinische Beratungsangebote im Netz. "Peter" schilderte den Ärzten die konkreten Symptome einer akuten Gürtelrose. Eine Antwort erhielt der fiktive Patient allerdings nur von jedem zweiten "Cyberdoc". 17 der 29 Antwortenden stellten die richtige Diagnose. 27 rieten ihm, zum Arzt zu gehen. Fast alle Antworten kamen mit ein bis zwei Tagen Verzögerung. Teilweise vergingen sogar bis zu zehn Tage. Bis dahin hätte "Peter" schon tot sein können.

Eine verlässliche Qualitätssicherung für medizinische Informationen im Internet steht nach wie vor aus. Zwar drängt das Bundesgesundheitsministerium und droht auch schon mal verhalten mit "gesetzlichen Regelungen", aber die komplizierte Selbstverwaltungsstruktur des deutschen Gesundheitswesens braucht Zeit: Nach einjähriger Vorbereitungszeit hat die Gesellschaft für Versicherunsgwissenschaft und -gestaltung im August 99 unter Schirmherrschaft des Gesundheitsministeriums das "Aktionsforum Telematik im Gesundheitswesen" (ATG) aus der Taufe gehoben. Anfang Februar 2000 beschloss das Diskussionsforum, in dem die wesentlichen Akteure des deutschen Gesundheitswesens zusammensitzen: "Im April 2000 werden vier Projektteams ihre Arbeit aufnehmen und idealerweise noch im laufenden Jahr erste Arbeitsergebnisse der Öffentlichkeit präsentieren. Im einzelnen handelt es sich um die Teams Elektronisches Rezept, Elektronischer Arztbrief, Sicherheitsinfrastruktur und Europäische Dimension. Diese Projektteams sind als Vorläufer eigentlicher Projekte zu verstehen und sollen die Selbstverwaltung in die Lage versetzen, diese Projekte zu starten."

Bis tatsächlich eine umfassende Lösung für den Einsatz von Telematik im deutschen Gesundheitswesen festgelegt ist, hilft nur gesunder Menschenverstand. Gunther Eysenbach, der auf seiner Homepage eine umfangreiche FAQ zum Thema Cybermedizin bereitstellt, rät: "Eine Entscheidung, die die eigene Gesundheit betrifft, (sollte) niemals alleine auf einer Internet-Recherche basieren, sondern immer mit dem Hausarzt besprochen werden". (wst)