Wie Piraterie Hollywood hilft

Filesharing verursache riesige Einnahmeverluste, klagt die Filmindustrie gern. In Wahrheit steigert die Kopiererei Hollywoods Umsätze sogar. Die Branche sollte neue Technologie endlich als Chance begreifen.

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Von
  • Jake Rossen
Inhaltsverzeichnis

Filesharing verursache riesige Einnahmeverluste, klagt die Filmindustrie gern. In Wahrheit steigert die Kopiererei Hollywoods Umsätze sogar. Die Branche sollte neue Technologie endlich als Chance begreifen.

Eine neue Technologie drohe die Filmbranche zu zerstören, warnte vor vielen Jahren Jack Valenti, damals Präsident des Filmverbandes Motion Picture Association of America (MPAA). Zu befürchten seien leere Säle in den Kinos und leere Kassen bei den Produzenten. Denn warum sollte noch irgendjemand in die Lichtspielhäuser gehen, wenn die Filme fast kostenlos und bequem ins eigene Zuhause kommen?

Valentis Warnung stammt aus der Zeit der Videorekorder, jene klobigen Geräte, die um 1980 herum von den Bändern japanischer Fabriken zu rollen begannen und erstmals Filme zu äußerst geringen Kosten abspielen und aufzeichnen konnten. Für ihn waren sie "parasitäre Instrumente". 1982 sagte er vor dem US-Kongress: "Videorekorder sind für amerikanische Filmproduzenten und die amerikanische Öffentlichkeit das Gleiche wie der Würger von Boston für Frauen, die allein zu Hause sind." Filmemacher schlossen sich ihm an: Steven Spielberg weigerte sich sechs Jahre lang, "E.T." auch für den Heimvideo-Markt freizugeben. Die Diskussion war so aufgeheizt, dass sich 1984 sogar das US-Verfassungsgericht mit dem Thema beschäftigen musste. Die klare Aussage des Supreme Court: Konsumenten haben jedes Recht, fremdes geistiges Eigentum zu nichtkommerziellen Zwecken aufzuzeichnen.

Viel geschadet hat das Urteil der Filmindustrie nicht, im Gegenteil: Trotz der Nervosität Hollywoods nahmen die Umsätze an den Kinokassen im Jahrzehnt des Videorekorders sprunghaft zu – von 2,7 Milliarden Dollar im Jahr 1980 auf mehr als fünf Milliarden 1990. Inflationsbereinigt war das ein Zuwachs von 16 Prozent. Viele Jahre später sollten DVDs als Nachfolger der Videokassetten gar rund 50 Prozent der Gesamtgewinne bei den Studios ausmachen. Das Heimvideo führe Leute, die nicht mehr ins Kino gingen, wieder an Filme heran, sagte dazu Barry London, hochrangiger Manager bei Paramount Pictures.

Die Geschichte könnte eine Blaupause für die Zukunft sein. Immer wieder hat Hollywood technischen Wandel mit Misstrauen beäugt und versucht, ihn zu unterdrücken. Doch fast immer kam es anders als gedacht. Wenn sich die Unterhaltungskonzerne erst einmal auf neue Technologien eingelassen hatten, führte das zu einer Vergrößerung des Marktes für Filme und TV-Programme – von Zerstörung keine Spur.

Jetzt gibt es einen neuen Fall dieser Art: Vor zehn Jahren begannen die Studios damit, Tauschbörsen im Internet stilllegen zu lassen, deren Nutzer zu verklagen und erneut zu behaupten, dass ihrer Branche der Kollaps drohe. Heute ist klar, dass diese Äußerungen wieder einmal überzogen waren und die gewählte Taktik kontraproduktiv. Online-Piraterie hat die Filmindustrie keineswegs ruiniert. Viel wahrscheinlicher könnte sie sich als ihr Retter erweisen, weil sie Leihbibliothek, virale Werbeplattform und Markterweiterungswerkzeug in sich vereint. Als im Jahr 2012 die beliebte Filesharing-Seite Megaupload vom Netz genommen wurde, stieg das Interesse an digitalen Filmen auf legalen Seiten erwartungsgemäß an.

Doch es gab auch eine überraschende Nebenwirkung: Wie eine Studie der Munich School of Management und der Copenhagen Business School zeigt, gingen die weltweiten Kinokassen-Einnahmen für Filme mit bescheidenerem Budget zurück. Von der Megaupload-Schließung schienen nur große Blockbuster zu profitieren – ein Zeichen dafür, dass illegaler Dateitausch vielleicht die billigste heute verfügbare Methode für Werbung und Marktforschung darstellt. Mundpropaganda hilft vor allem kleineren Filmen, kann aber nicht ins Rollen kommen, bevor irgendjemand den Film gesehen hat – und das passiert eben häufig über einen verbotenen Download von einer "Torrent"-Seite. Allerdings eignet sich diese Art des Filmkonsums nicht für jeden. Sie ist schließlich nicht nur rechtlich gesehen meist illegal, sondern erfordert auch technisches Geschick. Deshalb wird ein Großteil der Menschen, die auf einen Film aufmerksam gemacht werden, dafür bezahlen. So mag die Filmindustrie zwar weiterhin gut beraten sein, Raubkopien als illegal anzusehen. Aber sie sollte nicht mit all ihrer Macht gegen jene Portale vorgehen, die sie anbieten.

Julie Bush ist eine Drehbuch-Autorin für Film und Fernsehen, die unter anderem an der beliebten Biker-Serie "Sons of Anarchy" des Digitalsenders FX beteiligt war. In ihren Augen versteht die Branche allmählich, dass dieses Muster eine wertvolle Form der Promotion darstellen kann. "Viele Show-Produzenten und Führungskräfte, die ich kenne, laden nicht nur selbst ständig Sachen illegal herunter. Im privaten Gespräch räumen sie auch ein, dass Raubkopien gut für die Branche sind – eine tolle Art zu werben und unverzichtbar, um ein beständiges Publikum aufzubauen."

Im vergangenen Frühjahr bezeichnete Michael Lombardo, Programmdirektor beim Bezahlsender HBO, Online-Piraterie seiner Serie "Game of Thrones" als "eine Art Kompliment". Als das in der Blogosphäre die Runde machte, ruderte HBO zurück. Kurz darauf aber äußerte sich Jeff Bewkes, CEO der HBO-Eigentümerin Time Warner, ähnlich: Dass eine Sendung derart intensiv raubkopiert werde, sei "besser, als einen Emmy zu gewinnen". "Wir haben mit solchen Sachen seit 20 oder 30 Jahren zu tun", sagte Bewkes in einer Telefonkonferenz mit Investoren. Schon lange teilten sich Kunden ihre TV-Abonnements oder verlegten Kabel an der Rückseite von Wohnhäusern entlang in andere Wohnungen. "Unsere Erfahrung ist, dass das letztlich zu mehr zahlenden Abonnenten führt."

Was er damit implizierte: Wie hoch auch immer die Verluste durch Raubkopien sein mögen, sie werden später ausgeglichen durch höhere DVD-Verkäufe und Abonnements. Tatsächlich war die erste Staffel von "Game of Thrones" 2012 die meistverkaufte DVD bei Amazon, und die dritte Staffel hatte bessere Einschaltquoten als jede andere Serie auf HBO, abgesehen von einer Staffel von "The Sopranos". Bei HBO Go, einem Streaming-Dienst nur für HBO-Abonnenten, können sich bis zu drei Personen gleichzeitig unter demselben Konto anmelden. Gedacht ist das Angebot eigentlich für Menschen, die in einem gemeinsamen Haushalt leben.