Das 1000-Euro-Baby

Unfruchtbarkeit ist in Entwicklungsländern ein großes soziales Problem. Willem Ombelet hat eine günstige Methode zur künstlichen Befruchtung entwickelt. Sie könnte die Kosten auch in reichen Ländern senken.

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Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
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Unfruchtbarkeit ist in Entwicklungsländern ein großes soziales Problem. Willem Ombelet hat eine günstige Methode zur künstlichen Befruchtung entwickelt. Sie könnte die Kosten auch in reichen Ländern senken.

Als Ann (Name geändert) im Krankenhaus wieder zu sich kam, eröffneten ihr die Ärzte zwei tragische Nachrichten. Sie hatte ihr Baby verloren, das sich statt in der Gebärmutter in einem der Eileiter eingenistet und eine schwere Blutung ausgelöst hatte. Schlimmer noch: Wahrscheinlich würde sie deshalb nie wieder schwanger werden. Ann wünschte sich aber nichts sehnlicher als ein eigenes Kind. War nun nach zahlreichen Fehlgeburten die Zeit gekommen, diesen Herzenswunsch loszulassen?

Doch Ann, deren Geschichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) aufgeschrieben hat, lebte mit ihrem Mann und seinem Kind aus einer früheren Beziehung in der ugandischen Hauptstadt Kampala. Und dort war das keine Option. Nachwuchs bedeutet Ansehen und Altersversorgung für die Eltern. Kinderlosigkeit dagegen ist in Uganda wie in vielen anderen Entwicklungsländern ein soziales Stigma, sagt die WHO. Ohne Kinder werden vor allem die Frauen schnell ausgegrenzt – und das sogar in der eigenen Familie. Die Ehemänner können verlangen, dass sie mit ihrem Schwager schlafen, um doch noch schwanger zu werden. In Kulturen mit Polygamie nehmen sich die Männer oft eine zweite Frau oder verstoßen die erste.

Künstliche Befruchtung könnte vielen helfen, wenn sie nicht unerschwinglich wäre. Weil viele Entwicklungsländer bevölkerungsreich sind, hat die Behandlung und Vermeidung von Unfruchtbarkeit für die dortigen staatlichen Gesundheitssysteme keine hohe Priorität. So fehlt es an günstigen Befruchtungsmethoden und Möglichkeiten, Geschlechtskrankheiten und andere Infektionen – häufige medizinische Ursachen der Unfruchtbarkeit – rechtzeitig zu diagnostizieren. "Niemand will auch nur einen Penny dafür ausgeben", sagt der belgische Gynäkologe Willem Ombelet und ergänzt: "Uns wurde klar, wenn Fruchtbarkeitsbehandlungen wie künstliche Befruchtung nicht günstig angeboten werden, können sie sich die meisten Paare nicht leisten. Und jetzt ist die Zeit tatsächlich reif dafür."

Ombelet leitet die Abteilung Geburtshilfe und Gynäkologie im St. Jans Hospital in Genk, ist Präsident der Stiftung "The Walking Egg" – und dem Ziel, eine günstige Methode für arme Länder zu entwickeln, gerade einen bedeutenden Schritt näher gekommen. Gemeinsam mit dem renommierten US-Embryologen Jonathan Van Blerkom aus Colorado hat er die Laborkosten der regulären Reagenzglas-Befruchtung, die hierzulande inklusive Personalkosten etwa 40 Prozent der Gesamtkosten ausmachen, auf 10 bis 20 Prozent eingedampft. Nur noch 200 Euro soll es kosten, die befruchteten Eizellen in einem vereinfachten Inkubator mit günstigen Chemikalien zu versorgen, bis die Embryos nach drei Tagen eingepflanzt werden.

Die neue Methode für In-vitro-Fertilisation (IVF) ist überraschend erfolgreich. In einer Pilotstudie in Belgien vergleichen die Forscher derzeit ihre Sparvariante mit dem konventionellen Verfahren. Der kürzlich im Fachjournal "Reproductive BioMedicine Online" publizierte Zwischenstand vom Sommer 2013 ist ermutigend: Die Embryos in den vereinfachten Inkubatoren entwickelten sich genauso gut wie die der Kontrollgruppe in den aufwendigen Apparaturen. Besonders bemerkenswert: Aus der günstigen Methode stammten zwei Drittel der Embryos, die die Mediziner als fit genug fürs Einpflanzen befanden.

Auch bei der Schwangerschaftsrate lag die neue Methode mit 34,8 Prozent gleichauf mit der Rate klassischer IVF, die das Belgische Register für Assistierte Fortpflanzung mit 34 Prozent angibt. Seit den sieben gesunden Babys, die laut dem Fachartikel mit dem neuen Verfahren gezeugt wurden, sind inzwischen weitere neun zur Welt gekommen. Mehr Details, etwa darüber, ob die Schwangerschaftsrate gleich geblieben ist, dürfen die Autoren vor Abschluss der Studie allerdings nicht verraten.

Die WHO jedenfalls setzt große Hoffnungen auf die Weiterentwicklung der Methode. Allerdings sei noch weitere Forschung nötig, sagt Sheryl van der Poel von der WHO-Abteilung für Fortpflanzungsmedizin und -forschung in Genf. Darüber hinaus müsse das Verfahren durch passende Gesundheitsangebote flankiert werden, darunter etwa eine genaue Diagnose der Unfruchtbarkeitsursachen.

Das weiß auch Ombelet. Und er ist sich im Klaren darüber, dass sich die Methode noch im größeren Maßstab und vor allem auch unter einfacheren Bedingungen in ärmeren Ländern bewähren muss. Er hofft daher, dass sich die guten Zwischenergebnisse am Ende bestätigen werden. Erst dann kann er die Verantwortlichen in Entwicklungsländern überzeugen, seinen einfachen Inkubator zu testen. "Wir konnten die ersten Studien nicht unter realistischen Bedingungen in Afrika durchführen. Niemand wollte der Erste sein", sagt Ombelet. Sie hätten zu viele schlechte Erfahrungen etwa mit HIV-Studien gemacht, in denen Medikamente starke Nebenwirkungen zeigten. Inzwischen interessieren sich jedoch unter anderem Ghana, Ecuador und Indien für die neue Methode.

Gelingt ihm der Schritt in die klinische Anwendung, dürfte das große Auswirkungen haben – und zwar weit über Entwicklungsländer hinaus. Denn natürlich steht damit die Frage im Raum, ob die Kosten für eine künstliche Befruchtung nicht auch hierzulande deutlich sinken können. Ombelet schätzt, dass etwa 70 Prozent der Paare, für die eine Fruchtbarkeitsbehandlung infrage kommt, von der günstigen Zeugung im Reagenzglas profitieren könnten.