Neuanfang in Übersee: Auswandererhaus zeigt Fotos

Bremerhaven war nach dem Zweiten Weltkrieg für viele Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge das Tor nach Übersee. Der heute 93-jährige Clemens Kalischer hat einige von ihnen fotografiert. Eine Ausstellung zeigt jetzt seine Bilder.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Janet Binder

Wenn man 93 Jahre alt ist, kann einen das Gedächtnis schon mal im Stich lassen. "Meine Erinnerung ist sehr schlecht", sagt Clemens Kalischer. An manches seiner bewegten Vergangenheit kann er sich mithilfe seiner Fotos und seiner beiden Töchter immerhin vage erinnern. Zwei Jahre lang fotografierte er Überlebende des Holocausts bei ihrer Ankunft in New York. 30 seiner Schwarz-Weiß-Fotografien sind vom 14. Juli an in der Sonderausstellung "Displaced Persons. Überlebende des Holocausts 1938-1951" des Deutschen Auswandererhauses in Bremerhaven zu sehen.

Ein DP-Junge in der Ankunftshalle von New York, 1947/48.

(Bild: Clemens Kalischer)

Kalischer emigrierte als Zwölfjähriger mit seiner jüdischen Familie 1933 von Berlin nach Paris. Bei Kriegsausbruch wurde er als Zwangsarbeiter ausgebeutet. 1942 gelang ihm die Flucht in die USA. Fortan arbeitete er als Fotograf für die großen US-amerikanischen Zeitungen und Magazine wie Newsweek oder New York Times.

Ihn interessierten vor allem normale Menschen, keine Prominenten. Clemens Kalischer ging damals auf die Schiffe, schaute sich in der Ankunftshalle um und beobachtete das emotionale Wiedersehen der Menschen mit ihren Angehörigen. "Ich konnte mich mit ihnen identifizieren", sagt Kalischer am Freitag, als er zusammen mit seinen beiden Töchter Tanya und Cornelia vorab die Schau besucht. Ihm war es ähnlich ergangen, auch er war voller Hoffnung, als er in die USA einwanderte.

Die Sonderausstellung im Deutschen Auswandererhaus erzählt das Schicksal der Displaced Persons
von 1938 bis 1951. Ausstellungsansicht.

(Bild: Deutsches Auswandererhaus)

Acht Millionen sogenannter Displaced Persons lebten nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland. Die ehemaligen KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen waren von den Nationalsozialisten aus ihrer Heimat deportiert worden und hatten überlebt.

"Mein Vater hat die Menschen unsichtbar fotografiert", sagt Tanya Kalischer. Seine Spiegelreflexkamera hatte er vor dem Bauch hängen, so konnte er auslösen, ohne dass es jemand bemerkte. Nach Namen fragte er nicht. Was aus den Menschen geworden ist, weiß er nicht. Beispielhaft werden die Fotos deshalb mit 14 schriftlichen Biografien von anderen Menschen ergänzt, die das Auswandererhaus recherchiert hat. Dokumentiert wird die Verschleppung bis zum Neuanfang in Übersee – so wie es etwa die 90-jährige Esther Bauer erlebte. Sie überlebte Theresienstadt, Auschwitz und Mauthausen. "Die Menschen waren bei ihrer Einreise seelisch zutiefst verletzt und körperlich am Ende", sagt die Direktorin des Auswandererhauses, Simone Eick.

Nur zu einer Familie, die Kalischer in der Ankunftshalle fotografierte, hatte er noch eine Zeit lang Kontakt. Clemens Kalischer steht vor einem Foto von einem Mädchen, ungefähr sechs Jahre alt. Es hält eine Puppe im Arm, um sie herum liegen große Gepäckstücke. "Die Familie kam aus Deutschland, der Vater war jüdisch", erzählt Tanya Kalischer. Sie hatte sich vor den Nazis versteckt. In den USA angekommen, half die Familie von Clemens Kalischer den Deutschen bei ihrem Neuanfang. "Ich habe Fotos von dem Mädchen mit ihrem Tanzlehrer gesehen", sagt Tanya Kalischer. Clemens Kalischer selbst kann sich daran nur schemenhaft erinnern.

Auch bei nachlassendem Gedächtnis: Der 93-Jährige steht noch mitten im Leben. "Er arbeitet immer noch als Fotograf", sagt Tochter Cornelia. "Und er hat noch viele Ideen."

(keh)