Nicholas Negroponte erhält den "01-Award"
Der Prophet des digitalen Lebensstils wurde von der Hochschule der Künste, Berlin, geehrt und erhält eine Honorarprofessur.
Mit der jetzt zum zweiten Mal verliehenen Multimedia-Auszeichnung des "01-Award" wurde der Mitbegründer und Direktor des MIT Media Lab gestern "als bedeutende Persönlichkeit im Bereich der Neuen Medien für seinen herausragenden Beitrag zur kulturellen Entwicklung unseres medialen Gesellschaft" ausgezeichnet. Den Preis, den die HdK zusammen mit der Deutschen Bank 24 vergibt, hatte 1998 erstmals der Multimedia-Künstler und Musik-Produzent Brian Eno erhalten. Habe sich Eno den neuen Technologien "auf künstlerisch-emotionaler Ebene" genähert, so stünden bei Negroponte die "praktischen Nutzzwecke" im Vordergrund. Negropontes Forschungstätigkeit beginne dort, wo "Bits auf Atome treffen". Für Thomas Holtrop, Mitglied des Vorstands der Deutschen Bank 24, ist Negroponte "der Visionär, der schon früh die Dimension und das Potenzial der Neuen Medien erkannt und die Trends des digitalen Zeitalters vorweggenommen hat."
Auf eine engere Kooperation mit dem Media Lab hofft die Hochschule der Künste Berlin, denn mit der Auszeichnung verbunden ist eine Honorarprofessur, die von der Deutschen Bank 24 gesponsert wird. HdK-Präsident Lothar Romain machte den Studenten allerdings wenig Hoffnung darauf, von nun an permanent persönlich von einem echten Cyberguru unterrichtet zu werden: Im digitalen Zeitalter sei es ja "nicht mehr so wichtig, dass man anwesend ist." Hauptsache, man stehe miteinander im Dialog.
Deutschen Unternehmen, die sich allein auf ihrer Geschichte und Tradition ausruhten, sagte Negroponte in seiner Rede keine rosige Zukunft voraus. Einige den Wandel vermeidende Firmen hätten sich zwar entschuldigend darauf berufen, etwas schon immer so gemacht zu haben. "Aber die haben nicht Amazon gegründet", stichelt der Co-Finanzier von Wired Magazine. Die Startups hätten die Leute in den Konzerne wachgerüttelt und ihnen gezeigt, dass es ein neues Businessmodell im Internet gibt, dem sich alle anpassen müssen.
Als kulturellen Gleichmacher sieht Negroponte, der das Ende der Nationalstaaten in "Being digital" ausruft, das Netz nicht. "Kulturen haben fast nichts mit Nationalstaaten zu tun. Sie haben einen viel stärkeren lokalen Bezug", prophezeit der Visionär. "Deutsch" zu sein, werde daher schon bald jegliche Bedeutung verlieren. Ein Bayer oder Berliner zu sein, werde dagegen immer wichtiger: "Die Entwicklung geht in beide Richtungen: Wir werden einerseits globaler, andererseits auch lokaler."
Angesichts der nach wie vor sprühenden Begeisterung Negropontes über die Potenziale der neuen Technologien, in der die Erkenntnis von Schattenseiten der Infogesellschaft keinen Platz findet, mag die Begründung des Jury-Vorsitzenden Romain für die Preisvergabe allerdings etwas erstaunen. Der HdK-Präsident lobte Negroponte als "Wissenschaftler, Autor, Vordenker, Professor und Visionär unserer Gesellschaft". Dass der Guru aber in seinem Denken "mit einem hohen Maß an sozialer Verantwortung und Kompetenz die Ambivalenz der globalen medialen Entwicklung nie aus dem Blickfeld verlor", widerlegte Negroponte in seiner Rede selbst am besten. (Stefan Krempl)
Mehr in Telepolis: Negroponte: Computer fĂĽr einen Dollar. (fr)