Die Deindustrialisierungs-Drohung: US-Energie lockt deutsche Konzerne

Treiben die hohen Strompreise immer mehr deutsche Firmen und Jobs ins Billig-Energieland USA? Die neue Ökostrom-Förderung hat die Pläne vieler Unternehmen vorerst entschärft. Doch ob gekürzte Investitionen zu Hause am Ende nicht doch in Abwanderung umschlagen, bleibt offen.

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Von
  • Jan-Henrik Petermann
  • Daniel Schnettler
  • dpa
Inhaltsverzeichnis

Die günstige Energie in den USA verführt deutsche Unternehmen, Kapazitäten über den Atlantik zu verschieben – und wegen des teuren Stroms daheim massiv Investitionen zu kappen. Zwar hören sich die Warnungen der Wirtschaft nicht mehr so schrill an wie noch vor der jetzt greifenden Ökostrom-Reform. Doch obwohl das System der umstrittenen Industrierabatte weithin unangetastet bleibt, drohen manche Großverbraucher mit Folgen für die Bundesrepublik. Zugleich versichern sie: Ein Aufstocken in Amerika sei nicht gleichbedeutend mit einem umfangreichen Abbau in Deutschland.

Schiefergasbohrturm im US-Bundesstaat Wyoming

(Bild: US Bureau of Land Management)

"Welche Auswirkungen Detailregelungen haben, lässt sich noch nicht genau sagen", heißt es beim weltgrößten Chemiekonzern BASF zur am Freitag in Kraft tretenden Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Die Ludwigshafener hatten bereits angekündigt, wegen der hohen Energiekosten den Anteil heimischer Investitionen von einem Drittel auf ein Viertel zusammenzustreichen. Parallel dazu baut und erweitert BASF – auch aufgrund der dank Fracking gesunkenen Gaspreise – neue Standorte in den USA, unter anderem in Freeport (Bundesstaat Texas).

Die strittigen Rabatte für energieintensive Industrien, durch die die Kosten für die Verbraucher bei der Ökostrom-Förderung steigen, sind trotz harter Verhandlungen mit der EU-Kommission nicht so stark eingedämmt worden wie von Kritikern gefordert. In der Summe bleiben sie mit einem Umfang von rund fünf Milliarden Euro sogar konstant.

"Beim neuen EEG passiert kein Erdrutsch", sagt Jörg Rothermel, Chef des Branchenverbands EID. Das Fördersystem bleibe aber komplex – und die Verdoppelung der EEG-Mindestumlage auf 0,1 Cent je Kilowattstunde belaste die Unternehmen durchaus. Nicht wenige Betriebe mit hohem Stromverbrauch wie Stahl-, Baustoff-, Chemie- oder Papierhersteller überlegten daher, in den Vereinigten Staaten draufzusatteln.

Der Anteil deutscher Firmen an ausländischen Direktinvestitionen in den USA ist traditionell hoch – er liegt bei etwa einem Zehntel. Jüngste Beispiele sind BMW und VW, die ihre Werke im Land ausbauen. Mercedes-Benz hat seine Fabrik in Alabama gerade erst erweitert – die dort hergestellten Wagen sind auch für den Export bestimmt.

Laut einer Umfrage der Deutsch-Amerikanischen Handelskammern von Ende 2013 planen drei Viertel der deutschen Firmen in den USA, ihre Mitarbeiterzahl zu erhöhen. Danach waren es zuletzt 581.000 Jobs. Ein wesentlicher Standortfaktor neben besserem Marktzugang, geringeren Wechselkursrisiken und günstigeren Arbeitskosten: die meist deutlich niedrigere Energierechnung – der US-Schiefergas-Boom macht es möglich.

Einen Investitionsstau zu Hause auf breiter Front fürchten zumindest kurzfristig nur wenige. Aber die Gefahr "schleichender Abwanderung" (BDI-Chef Ulrich Grillo) wegen teurer Energie wollen Beobachter nicht ausschließen. So sollen neue Eigenstromanlagen an der Finanzierung des Ökostrom-Ausbaus beteiligt werden, bestehende Kraftwerke bleiben nur bis Ende 2016 ganz befreit. "Damit ist keine Planungssicherheit gegeben", kritisiert BASF mit Blick auf die Strom-Selbstversorgung.

Rothermel versucht, die Wogen etwas zu glätten: "Es ist ja nicht der Anreiz gegeben zu sagen: Ich mache meine Bude sofort dicht und gehe anderswo hin. Aber das grundsätzliche Problem der steigenden Energiekosten in Deutschland ist durch dieses EEG noch nicht gelöst."

Der Kohlenstoff-Spezialist SGL erklärte zur Verdreifachung seiner Kapazitäten in Moses Lake (Bundesstaat Washington) mit dem Joint-Venture-Partner BMW ganz unverblümt: "Für die Entscheidung waren (...) wettbewerbsfähige Energiekosten maßgebliche Faktoren."

Besonders die Chemie bleibt vorsichtig. Die höhere Umlage-Beteiligung sei verschmerzbar, sagt der Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), Utz Tillmann. Aber: "Es gibt eine ganze Reihe von Unternehmen, die ähnliche Pläne haben wie die BASF."

Strom koste in den USA eben nur halb so viel wie an der Strombörse in Deutschland. Schon 2012 habe der Anstieg der Auslandsinvestitionen in der Chemie um 1,4 Milliarden Euro über dem Inlandswert gelegen. "Der größte Teil ging mit 41 Prozent in die USA", berichtet Tillmann.

Dass dies angesichts gebremster Rabattkürzungen nur Jammern auf hohem Niveau sei, finden einige Ökonomen und Umweltverbände – wie auch die grüne Bundestagsopposition. "Die Privilegien bleiben, wie sie waren", sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. "Versprochen gebrochen", meinte Parteichefin Simone Peter zum ursprünglichen Ziel, Verbraucher und kleine Firmen um wenigstens eine Milliarde Euro zu entlasten.

Die Gewerkschaften üben beim Thema drohende Deindustrialisierung indes den Schulterschluss mit den Arbeitgebern. "Unsere Sorge gilt weniger der unmittelbaren Gefahr von Schließungen, sehr wohl aber der Beschäftigungsfähigkeit am Standort Deutschland in der Zukunft", sagt Ralf Bartels, Abteilungsleiter Energiewende der IG BCE.

"Die sofortige Stilllegung oder Verlagerung weiter Teile der energieintensiven Industrie konnte verhindert werden", meint auch der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), Eric Schweitzer. Das Problem Eigenstrom solle man allerdings im Blick behalten. Der Chef der Wirtschaftsvereinigung Metalle (WVM), Martin Kneer, mahnt: "Die Politik muss eine Vertrauensbasis schaffen." (anw)