GDC 2014: Indie-Entwickler erfinden pfiffige Techniken für ergreifende Games-Geschichten

Der Adventure-Spezialist Telltale Games und Tim Schafers Double Fine Productions optimieren Dialog-Tools und Story-Regie, um den Spieler stärker ins Geschehen einzubinden.

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Von
  • Peter Kusenberg

Auf der Game Developers Conference (GDC) haben zwei Vertreter der Firmen Telltale Games und Double Fine von ihren Bemühungen erzählt, ihre Story-basierten Spiele möglichst mitreißend und emotional aufwühlend zu gestalten. Der Produzent Chris Schroyer von Telltale Games erklärte in seinem Fachvortrag, wie er mitten im Produktionsprozess das erste Konzept für The Wolf Among Us verworfen und eine andere Herangehensweise wählen musste: "Nachdem in der letzten Folge der ersten Staffel von The Walking Dead eine der Hauptfiguren stirbt, begannen Mitarbeiter beim Durchspielen zu weinen. Unseren ursprünglichen Ansatz bei Wolf Among Us konnten wir deshalb nicht fortsetzen, weil sich mit diesem verstörenden Ende die Erwartungen der Spieler an ein Telltale-Adventure grundlegend verändert hatten."

Chris Schroyer

Schroyer arbeitet bei Telltale Games. Das Unternehmen wurde 2004 von Lucas-Arts-Veteranen gegründet und hat sich auf die Produktion von Episoden-förmigen Adventures im Digitalvertrieb spezialisiert. Zu den frühen Glanzlichtern zählen eine Fortsetzung der Lucas-Arts-Serie Sam'n Max sowie die Tales of Monkey Island unter der Regie von Lucas-Arts-Urgestein Dave Grossman. Aktuell genießt Telltale Games großen Erfolg und Kritiker-Lob für seine Adaptionen der erfolgreichen Comic-Serien The Walking Dead und Fables, dessen erste Staffel jüngst unter dem Namen The Wolf Among Us abgeschlossen wurde.

Schroyer sagte, das Team habe das komplette Spiel-Design auf dem Prüfstand gestellt, also den Episoden-übergreifenden Handlungsbogen, das Design, die Charaktere, Kulissen und die Dialoge. Als Ergebnisse habe das Team vor allem darauf geachtet, dass der Spieler bei den Ermittlungen der Hauptfigur Wahlmöglichkeiten hat, "damit er das Gefühl hat, er bestimme das Geschehen und bekomme es nicht einfach vorgesetzt".

Ein weiteres Problem ergab sich aus dem Umstand, dass The Wolf Among Us auf der langlebigen Comic-Serie Fables basiert, in der diverse Hauptfiguren und Handlungsstränge vorkommen. Schroyer und sein Team entschieden sich für den Bigby Wolf, der als Sheriff von Fabletown für Recht und Ordnung sorgt, dem Asyl für Märchenbewohner inmitten von New York. In seinem früheren Leben war Bigby der Große Böse Wolf aus Rotkäppchen und anderen Märchen, derart vielseitig ist sein Charakter.

"Bigby war einst ein Bösewicht, er ist stark und der geborene Detektiv", sagte Schroyer. "Wir konnten ihn nicht auf Pixel-Jagd schicken, sondern inszenierten seine Ermittlungen eher wie eine Form von Kommunikation mit dem Spieler." Bei den Dialogen sollen Wesen und Stimmung der Charaktere sichtbar werden; zudem musste der Spieler insbesondere in der ersten Episode über jene Welt aufgeklärt werden. "Wir erzählen dem Spieler durch eine nebensächlich wirkende Befragung der Figur Toad, was es mit den Fairies auf sich hat, wie sie sich vor der Entdeckung durch die Menschen schützen und was für ein Typ jener Bigby ist." Im Laufe der ersten Staffel wächst die Zuneigung zwischen Bigby und Schneettwittchen, was Schroyers Team über die gesamte fünfteilige Staffel hinweg durch Dialoge und Gesten deutlich macht. "Der Spieler muss aus den Texten und der Stimmlage erkennen, dass hier eine Spannung besteht. Wir planen die Dialoge mit dem Story-Verlauf der ganzen Staffel im Hinterkopf und überlegen uns, wie wir in folgenden Staffeln daran anknüpfen können."

Anna Kipnis

Die gebürtige Russin arbeitet seit 2004 als Senior Gameplay Designer in der Firma des ehemaligen Lucas-Arts-Mitarbeiters Tim Schafers Double Fine Productions. Lucas Arts schuf in den 1990er Jahren mit Monkey Island, Full Throttle (Vollgas) und Day of the Tentacle Stil-bildende Adventures, die nicht allein die bejahrteren unter den Spielern wertschätzen. Schafer produzierte mit einem kleinen Team seit dem Jahr 2000 beachtliche Abenteuerspiele, etwa Psychonauts und Brütal Legend; aktuell produziert Schafer eine Neuauflage des 1998er Adventure-Klassikers Grim Fandango.

Anna Kipnis betrachtet die Dialoge aus einer anderen Perspektive. Sie arbeitet als Senior Gameplay Designer bei Tim Schafers Spiele-Firma Double Fine Productions, die mit Psychonauts und Brütal Legend kommerziell weniger erfolgreich ist, doch mit dem zweiteiligen Kickstarter-Adventure Broken Age aktuell einigen Erfolg verzeichnet. "Ich betrachte Dialoge als Spiel-Mechanismus", sagte die Dialog-Expertin im Gespräch. Mit dem bei Double Fine verwendeten Dialog-System ist es möglich, spezielle Dialog-Zeilen präzise mit Aktionen, Animationen und Gesprächssituationen zu verknüpfen.

Die Dialog-Zeilen sind so aufgebaut, dass sie auf Aktionen des Spielers reagieren, etwa dass eine Figur den normalen Dialog abbricht und herumzetert, wenn sie von der Hauptfigur in Brand gesetzt wird. Bereits in der Dialog-Schreibphase achten wir darauf, dass man die Zeilen gut in Sprachen übersetzen kann, die wortreicher sind als das Englische, etwa Russisch und Deutsch.

Kipnis ist gut gerüstet für diese Aufgabe, ihre Muttersprache ist Russisch, sie spricht fließend Englisch und versteht Französisch, Japanisch und Chinesisch. "Die Syntax in vielen ostasiatischen Sprachen ist völlig anders als in den indo-europäischen Sprachen. Also muss ich zusammen mit den Übersetzern einen Weg finden, die Sätze anders zu gestalten, so dass sie der Struktur der englischen Dialog-Zeilen ähneln."

In Psychonauts, Kipnis' erstem großem Projekt bei Double Fine Productions, berücksichtigte sie bereits bei der Gestaltung der Dialoge verschiedene Sprachfassungen. Dabei hat sich das Dialog-System ständig weiter entwickelt. "Tim Schafer startete mit SCUMM in den späten 1980er Jahren, dem avancierten Dialog-System von Lucas Arts. SCUMM diente bei Psychonauts als Inspiration, doch wir variierten das System ständig, um die Sprache lebendiger zu gestalten: mit passenden Animationen, Sprechpausen und sogar Variationen desselben Satzes." Während ihres Vortrags demonstrierte Kipnis die Wirkung von Variationen an einer Nebenfigur im aktuellen Adventure Broken Age, in dem jener Kerl eine Schimpfkanonade in Dutzenden Varianten vom Stapel lässt. Dadurch wirkt die Szene minder schematisch und dauerhaft witzig.

"Gesprochene Dialoge verstärken die Immersion. Wenn der Spieler die Stimme hört, kann er besser eine Beziehung zu den Charakteren aufbauen." Allerdings verzichtet der Branchenriese Nintendo bis heute auf eine Vertonung der Dialoge in den Mario-Abenteuern. "Nintendo macht das schon so lange, und die Leute haben sich daran gewöhnt. Man kennt das aus Filmadaption von Romanen. Die Kenner des Buches haben eine bestimmte Vorstellung davon, wie die Figuren aussehen und klingen, und wenn sie in der Filmumsetzung dem nicht entsprechen, das ist das enttäuschend. Nintendo wird das Risiko scheuen, und vermutlich tun sie gut daran, auf gesprochene Sprache zu verzichten, abgesehen natürlich von kurzen Sätzen wie "It's a Mario!". Die Story wird in vielen Nintendo-Spielen durch Animationen erzählt, die Dialoge sind nicht entscheidend." Für kleinere Firmen spielt das Budget eine Rolle bei der Frage, ob die Dialoge vertont werden sollen. "Audio-Dialoge sind teuer, und bei Konsolen-typischen Spielen, bei denen man den nächsten Satz durch Knopfdruck auslöst, klingen Audio-Dialoge unschön, weil der natürliche Rhythmus der Sprache empfindlich gestört wird."

Mitleid, Antipathie und Sympathie werden in Spielen auf verschiedenartige Weise vermittelt, das Action-Adventure The Last of Us mit seinen hervorragenden Dialogen entfaltet seine Wirkung nur im Zusammenspiel von Action, Design und Charakter-Interaktion. "Ein Kollege hat sich alle Zwischensequenzen von The Last of Us hintereinander angeguckt, doch damit hat er die Story nicht wirklich erfasst. Wir achten bei Broken Age darauf, dass die Dialoge immer Story- und Spiel- relevant sind und mit den Gameplay-Mechanismen harmonieren, wir machen ja keinen Film." (anw)