Mit Insektenfarmen gegen den Welthunger

Um die Menschheit mit tierischen Proteinen versorgen zu können, müssen immer mehr Futtermittel her – die teuer sind und Anbauflächen kosten. Larven und Würmer sollen es richten.

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Von
  • Lauren Zanolli

Um die Menschheit mit tierischen Proteinen versorgen zu können, müssen immer mehr Futtermittel her – die teuer sind und Anbauflächen kosten. Larven und Würmer sollen es richten.

Obwohl es mittlerweile auch in Europa und den USA in manchen Supermärkten aus Insekten produzierte Nahrungsmittel wie Proteinriegel oder Tortillachips gibt, dürfte es noch eine ganze Weile dauern, bis solche Produkte auf unserem regulären Speisezettel stehen.

Ganz anders sieht das aber möglicherweise bald im Bereich der Tiernahrung aus. Denn: Um Fleisch und Fisch zu produzieren, muss Futter zur Mast her. Und der Bedarf dürfte noch zunehmen, wenn bis 2050 die Weltbevölkerung auf neun Milliarden Menschen anwächst – und große Länder wie China und Indien zunehmend Appetit auf tierische Proteine haben.

Unternehmer, Forscher und sogar die Vereinten Nationen suchen daher nach alternativen Futtermitteln zu Sojabohnen und Fischmehl, die derzeit verfüttert werden. Insekten wie Mehlwürmer oder Fliegenlarven, natürliche Nahrung für Vögel und Fische, könnten ein fast perfekter Ersatz sein. Und mehrere Start-ups sind schon dabei, Zuchtfabriken im Industriemaßstab hochzuziehen. Entsprechend könnte es nicht mehr lange dauern, bis einige unserer Geflügel- oder Fisch-Hauptgerichte mit Insekten gemästet werden.

Heute gehen rund 15 Prozent aller wild gefangenen Fische an Hühner, Schweine und Farmfische. Die Sojabohnenproduktion geht zu 95 Prozent in die Tierfutterherstellung. Seit den 90er Jahren nahm die Produktion stark zu und wird in diesem Jahr neue Rekorde verzeichnen. Doch solange sich die Ernteausbeute nicht steigern lässt, gehen dafür weiterhin viel Fläche und Wasser drauf.

Insekten wiederum benötigen nicht nur deutlich weniger Ressourcen als Soja, sie ernähren sich auch noch von Lebensmittelabfällen. Ihr Proteingehalt ist zudem vergleichbar mit dem der Bohne.

Zuchtversuche der EU-Initiative PROteINSECT legen nahe, dass ein Hektar Land mindestens 150 Tonnen Insektenprotein abwerfen würde. Sojapflanzen auf gleicher Fläche bringen nur knapp eine Tonne.

Fütterungsversuche zeigen zudem, dass eine Insektendiät zu größerem und stärkerem Vieh führen könnte. In einer Untersuchung zu nahrhaften Insekten aus dem Jahr 2013 führt die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen verschiedene Studien an Fisch und Japanwachteln auf, bei denen 50 Prozent des Fischmehls in der Nahrung durch gemahlene Grillen ersetzt wurden. Die Fische schnitten gegenüber ihren regulär gefütterten Brüdern bei allen Wachstumsparametern besser ab, während die mit Insekten gemästeten Japanwachteln mehr Eier legten als eine Kontrollgruppe.

Trotzdem befindet sich die neue Industrie noch ganz am Anfang. Eine Produktion in industriellem Maßstab ist der nächste Schritt und dafür muss ganz neue Technik her.

Enterra Feed, eine Firma aus Vancouver, die insektenbasierte Tiernahrung und Dünger herstellt, will noch im August die Arbeit an einer weitgehend automatisierten Produktionsanlage fertigstellen, die pro Tag 100 Tonnen Vorkonsumenten-Lebensmittelabfall verwendet, um eine Armee aus Soldatenfliegen großzuziehen. Die Larven wachsen in flachen Schalen mit Sensoren heran, die Zeit und Inhalt automatischer Fütterungsrunden messen. Techniker nutzen diese Daten zusammen mit Temperaturuntersuchungen, um zu bestimmen, wann es sinnvoll ist, die Larven zu ernten, damit Protein- und Fettgehalt optimal sind. Das Unternehmen hofft, bis zum nächsten Jahr eine Zulassung für die Produkte zu erhalten und plant weitere Standorte in Seattle, San Francisco und Toronto.

Protix Biosystems aus Amsterdam will seine Insekten ab 2015 an Futtermittelhersteller liefern. Allerdings hat die Firma derzeit nur eine Genehmigung für Forschungszwecke, was sich aber bald ändern soll. "Das Konzept des Insekts als Proteinquelle ist etwas, was die Natur bereits zur Perfektion gebracht hat", sagt Mitbegründer Kees Aarts, "wir brauchen nur skalierbare Technologien".

Eine weitere Firma namens Ynsect, ein Start-up aus der Nähe von Paris, plant unterdessen die weltweit erste, vollautomatische Insektenproduktion. Sie soll 10.000 Tonnen getrocknetes Proteinmehl, flüssiges Fett sowie Chitin-Produkte pro Jahr herstellen. Der Baubeginn ist 2016.

Bislang sagen die Firmen noch nicht, was das Futter genau kosten wird. Klar sei nur, dass es vermutlich zwischen den beiden Produkten liegen werde, die ersetzt werden sollen: Sojamehl und das teurere Fischmehl.

"Die Technik hat sich als praktikabel erwiesen, es gibt den Konzeptbeweis", meint Sonny Ramaswamy, Direktor des National Institute of Food and Agriculture des US-Agrarministeriums. Dort hat man gerade drei Förderungen für kleinere Unternehmen genehmigt, bei denen Insekten als Tiernahrung überprüft werden sollen.

Trotz des Enthusiasmus gibt es noch Hürden. In den Vereinigten Staaten erlauben nur einige Bundesstaaten insektenbasierte Futtermittel für die kommerzielle Geflügel- und Fischzucht, obwohl es im nächsten Jahr vermutlich breitere Genehmigungen gibt. Die EU-Regulierungsbehörden warten hingegen noch auf weitergehende Sicherheits- und Gesundheitsinformationen. Die Fischfarmen könnten die ersten Nutzer sein. (bsc)