Warum Uber richtig liegt

Der Carsharing-Dienst Uber steht wegen seiner Preisgestaltung in der Kritik: In Stoßzeiten sind sie bis zu achtmal so hoch wie sonst. Ein dynamisches Preissystem ist jedoch ökonomisch sinnvoll und effizienter, argumentiert James Surowiecki.

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Von
  • James Surowiecki

Der Carsharing-Dienst Uber steht wegen seiner Preisgestaltung in der Kritik: In Stoßzeiten sind sie bis zu achtmal so hoch wie sonst. Ein dynamisches Preissystem ist jedoch ökonomisch sinnvoll und effizienter, argumentiert James Surowiecki.

Vier Jahre ist es her, seit der Autodienst Uber, die Mitfahrerzentrale der Sharing Economy, startete. Was nicht wenige Privatpersonen erfreut, bringt jedoch andere in Wallung: Stadtverwaltungen regen sich über den Widerstand von Uber gegen jeden Versuch einer Regulierung auf, Taxi-Innungen möchten die unliebsame Konkurrenz am liebsten wieder von den Straßen verbannen. Die härteste Kritik kommt bislang jedoch von unerwarteter Seite – Uber-Kunden selbst. Ihnen stößt das „Surge Pricing“ des Dienstes sauer auf. Denn je größer die Nachfrage zu bestimmten Zeiten, desto höher die Preise. Das hat Uber den Vorwurf eingetragen, seine Kunden auszuquetschen. Ein Beispiel macht die Problematik besonders deutlich: Während eines Schneesturms in New York im Dezember 2013 erhöhte Uber kurzerhand die Preise drastisch. Ein Twitter-Nutzer bezeichnete Uber daraufhin als „erpresserische Arschlöcher“ und traf damit die allgemeine Stimmung ziemlich gut.

Diese Kritik ist insofern überraschend, als Uber mitnichten die ersten waren, die eine dynamische Preisgestaltung praktizieren. Die sogenannte Preis-Diskriminierung, wie Ökonomen es nennen, hat es schon lange vor der Internet-Wirtschaft gegeben. Wer vormittags ins Kino geht, zahlt weniger als am Abend, wer neue Mode sofort haben will, zahlt mehr als im Schlussverkauf.

Dynamische Preisgestaltung im engeren Sinne gab es erstmals in den 1980ern, als Robert Crandall, damals CEO von American Airlines, sie als Mittel einführte, um Billig-Fluglinien wie People Express Kunden abspenstig zu machen. Wer früh genug bei American buchte, konnte erstaunliche Preisabschläge mitnehmen. Kurz vor dem Flugtermin schnellten die Ticketpreise jedoch in die Höhe.

Seither haben andere Fluglinien, Hotels und Autovermieter das Modell übernommen. Leistungsfähige Computer und Datenanalysen haben daraus einen unglaublich komplexen Prozess gemacht. In den letzten Jahren ist es gar möglich geworden, Preise innerhalb von Minuten anzupassen, und viele andere Branchen bedienen sich inzwischen dieses Systems. Bei Sportveranstaltungen etwa werden für Partien gegen hochklassige Gegner höhere Ticketpreise aufgerufen. Auch Konzertpreise schwanken.

Wenn diese Praxis nicht ungewöhnlich ist, woher kommen dann die Breitseiten gegen Uber? Das liegt zum einen an der Geschichte des Dienstes selbst: Am Anfang war die Preisgebung nicht gerade transparent, Kunden waren mitunter mit Preisen konfrontiert, die viel höher als erwartet waren. Auch die Episode mit dem Schneesturm in New York trug zum schlechten Image bei.

Bereits 1986 hatten Daniel Kahneman, Jack Knetsch und Richard Thaler herausgefunden, dass die meisten Menschen „eine Anhebung von Preisen als Reaktion auf eine Knappheit auch dann unfair finden, wenn ähnliche Ersatzprodukte ausreichend verfügbar sind“ – eine Beschreibung, die auf Uber fast perfekt passt. Denn die Preiserhöhungen sind in diesen Situationen erheblich höher als üblich: Während des New Yorker Schneesturms verlangte Uber fast das Achtfache der normalen Preisen. Laut Richard Thaler finden Menschen Preiserhöhungen auf mehr als das Dreifache psychologisch unerträglich.

Ein wichtiges Detail ist auch, dass die Preise bei Uber nur über den Grundpreis steigen, aber niemals darunter fallen. Dabei akzeptieren Kunden eine dynamische Preisgestaltung eher, wenn sie auch als Discount verstanden werden kann. So verkaufen Kinos die höheren Abendpreise nicht als einige Dollar über dem Normalpreis, sondern die Matineepreise als einige Dollar billiger. American Airlines führte den niedrigeren Preis für 21 Tage im Voraus gebuchte Tickets als „Super-Saver“ ein. Selbst Happy Hours in Bars werden als Rabatt begriffen.

Die jeweilige Darstellung ändert nichts an der zugrunde liegenden Preisstruktur, hat aber eine große Wirkung auf die Kunden. 1999 schlug der damalige Coca-Cola-CEO Douglas Ivester vor, Cola aus Getränkeautomaten an heißen Tagen teurer zu machen, weil dann die Nachfrage wohl höher sei. Das kam überhaupt nicht gut an, und das Unternehmen machte schnell einen Rückzieher. Ivesters Überlegungen wurden vorsorglich als rein hypothetisch dargestellt. Hätte Ivester hingegen vorgeschlagen, Cola an kalten Tagen billiger zu verkaufen – selbst wenn es den Grundpreis erhöht hätte –, wäre die Reaktion wahrscheinlich ganz anders ausgefallen. Lyft, der Konkurrent von Uber, scheint das verstanden zu haben: Es hat kürzlich Happy-Hour-Preise eingeführt, für Touren zu nicht so geschäftigen Tageszeiten gibt es nun Abschläge.

Zumindest mangelnde Transparenz kann man Uber nicht vorwerfen: Die App zeigt an, wieviel die Fahrtkosten zu Stoßzeiten über dem Normalpreis liegen.

Schließlich hat die Kritik an Uber noch mit der Transportbranche selbst zu tun: In der wurden Fahrpreise wie bei Taxis reguliert oder für spezielle Routen, etwa zum Flughafen, sogar festgelegt. Das Preissystem von Uber erscheint im Vergleich dazu kompliziert und intuitiv schwer verständlich, obwohl Uber es transparent vermittelt (siehe Bild). Der Dienst widerspricht auch einem Grundgefühl, dass Transport auf gewisse Weise eine öffentliche Dienstleistung sei und Uber hierin einfach zu teuer. Diese Klage ist indes seltsam, als es genug Alternativen zu Uber gibt. Man hört sie aber überraschend oft.

Es ist also leicht zu verstehen, warum Uber so heftig kritisiert wird. Die Ironie daran ist, dass das Unternehmen das ökonomisch sinnvollste und nützlichste Beispiel für eine dynamische Preisgestaltung bietet. Natürlich geht es bei dieser darum, Profite zu maximieren, indem man die Nachfrage ausreizt. In den Worten von MIT-Ökonom Yossi Sheffi handelt es sich um die „Wissenschaft, wie man jeden erdenklichen Dollar aus dem Kunden herausquetscht“.

Das liegt daran, dass Branchen mit einem solchen Preissystem nur ein begrenztes Angebot haben – eine Fluglinie kann auf einem bestimmten Flug nur eine feste Anzahl an Sitzen verkaufen, ein Hotel nur eine feste Anzahl an Zimmern. Bei Über liegt der Fall jedoch anders. Es will zwar ebenfalls möglichst viel Geld machen, aber mit den vorübergehenden Preiserhöhungen versucht es nicht nur, die Nachfrage auszunutzen, sondern auch das Angebot zu erhöhen.

Gibt es mehr potenzielle Passagiere als verfügbare Autos im Uber-Angebot, balanciert das Computersystem des Unternehmens Angebot und Nachfrage aus. Der Algorithmus dahinter, der seit 2011 immer wieder verfeinert wurde, ist das wertvollste Kapital von Uber und seine bedeutendste Innovation. Denn er erlaubt, einen Preis zu finden, der neue Chauffeure anzieht, aber die Kunden nicht verprellt. Denn anders als andere Transportdienste kann es neue Fahrer nicht einfach beauftragen. Investor Bill Gurley, im Aufsichtsrat von Uber, schrieb kürzlich in einem Blogbeitrag, dass Uber in ersten Tests 2012 in Boston mit seinem Preissystem das Angebot „um 70 bis 80 Prozent“ steigern konnte.

Viele glauben, dass Taxifahrer ins Auto steigen, wenn viel Geld zu verdienen ist. Das ist jedoch nicht der Fall: Mehrere Studien haben gezeigt, dass Taxifahrer sich sehr unterschiedlich entscheiden, wann sie fahren. Und die Tageszeiten, zu denen Fahrten am meisten nachgefragt werden, sind auch diejenigen, in denen der Verkehr am lästigsten und auch riskantesten ist. Berufsverkehr, Silvester oder Schneestürme sind genau die Tageszeiten, wenn die meisten Fahrer nicht auf der Straße sein wollen. Wenn sie dafür aber mehr Geld bekommen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie doch fahren.

Dass bedeutet, dass das Preissystem von Uber Fahrten nicht nur teurer macht, sondern auch die Zahl derer erhöht, die einen Transport ergattern können. Die Kunden zahlen mehr, aber sie bekommen auch ein Angebot, dass es sonst so nicht gegeben hätte. Das ist genau so, wie ein Markt funktionieren soll: Höhere Nachfrage führt zu höherem Angebot.

Natürlich bemüht Uber dieses Argument immer wieder, was die Menschen aber nicht davon abhält, sich zu beklagen. Experten haben deshalb verschiedene Vorschläge gemacht, wie man dieses PR-Problem lösen könnte.

Uber könnte etwa während Stoßzeiten darauf verzichten, die üblichen 20 Prozent Provision vom Fahrpreis zu kassieren und das Geld komplett den Fahrern zu überlassen. Es könnte auch die Preise für die Verbraucher begrenzen und den Aufschlag während Stoßzeiten selbst an die Fahrer zahlen, im Prinzip also die Fahrten subventionieren. Oder es spendet Erlöse aus Zeiten mit einem Surge Pricing für einen guten Zweck.

Das sind alles interessante Ideen. Es wäre jedoch ein Fehler, wenn Uber die Wahrnehmung durch die Öffentlichtkeit über die Ökonomie stellen würde. Sinnvoll ist eine Einigung, die Uber kürzlich mit dem Justizminister des Bundesstaats New York getroffen hat, in Notsituation auf Preiserhöhungen zu verzichten. Solche Situationen kommen nur selten vor, aber die negative Wirkung kann immens sein. An dem grundlegenden Preissystem herumzudoktern, würde jedoch nur den Status quo zementieren und die implizite Ansicht vieler Menschen bestärken, dass die Preise festgelegt werden sollten, unabhängig von Angebot und Nachfrage.

Der Kern von Ubers Geschäftsmodell ist nun einmal, dass Fahrten dann am meisten kosten, wenn die Menschen sie am meisten wollen. Das wird immer ein Ärgernis sein, ebenso wie enorm hohe Preise für Last-Minute-Flugtickets. Mit der Zeit wird man sich an das Surge Pricing von Uber jedoch gewöhnen.

Auch Stromversorger beginnen nun, den Preis für Elektrizität dynamisch festzulegen. Das kann Blackouts in Zeiten hohen Verbrauchs vorbeugen und zu mehr Energieeinsparungen beitragen. Das Start-up Boomerang Commerce wiederum, von ehemaligen Amazon-Ingenieuren gegründet, hilft Einzelhändlern, eine dynamische Preisgestaltung einzuführen. Dieses System ist das Modell der Zukunft, auch wenn der Weg dahin steinig ist.

James Surowiecki ist Kolumnist des Magazins New Yorker und Autor des Bestsellers „Die Weisheit der vielen“.

(nbo)