75 Jahre Düsenflug: Als Ernst Heinkel die Luftfahrt revolutionierte

Acht Minuten nur bleibt die "He 178" in der Luft, aber ihre Technik verändert den Luftverkehr nachhaltig. Am 27. August jährt sich die Premiere des ersten Düsenflugzeugs der Welt zum 75. Mal.

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Von
  • Christopher Weckwerth
  • dpa

Als auf der Beton-Startbahn in Rostock-Marienehe die moderne Luftfahrt eingeläutet wird, verschlafen die meisten Anwohner den historischen Moment. Früh am Sonntagmorgen des 27. August 1939, gegen 4.00 Uhr, hebt das erste Düsenflugzeug der Welt ab. Am Steuer der "He 178" sitzt der Testpilot Erich Warsitz, der Erfinder Hans Pabst von Ohain schaut zu. Das Gesicht der Konstruktion wird aber jemand anders: Ernst Heinkel.

"Eine neue fliegerische Welt hat begonnen", jubiliert der damals 51 Jahre alte Unternehmer nach der sicheren Landung auf dem Werksflugplatz. Fünf Tage später beginnt der Zweite Weltkrieg.

Heute sind Jets mit Düsentriebwerk (bzw. Strahltriebwerk) der Standard im Luftverkehr, einige der größten Maschinen wie die Boeing 747 oder der Airbus A380 setzen auf Strahltriebwerke. Doch der Weg zum Prototyp "He 178" war lang.

He 178 – Das erste Düsenflugzeug (3 Bilder)

7,48 m lang war das Flugzeug bei einer Flügelspannweite von 7,20 m.
(Bild: Wikimedia Commons)

Heinkel, geboren 1888 in der Nähe von Stuttgart, begeisterte sich früh für die Luftfahrt. Als Pilot wagte er sich viele Male selbst in die Luft – doch mehrfach stürzte er ab und verletzte sich. Darum wechselte er zum Flugzeugbau. 1922 gründete Heinkel sein eigenes Werk, das er ein Jahr später in Warnemünde ansiedelte.

Lutz Budraß

(Bild: ruhr-uni-bochum.de )

Das Geschäft florierte. Heinkel machte sich einen Namen als Vordenker, bis zu 50.000 Mitarbeiter hatte sein Betrieb in Spitzenzeiten. Auch die Nationalsozialisten setzten auf seine Entwicklungen: Mitte der 1930er Jahre bestand ein Großteil der Luftwaffe aus Heinkel-Maschinen. Der Unternehmer war da längst Mitglied der NSDAP.

1939 aber wollte Heinkel noch mehr. Mit dem Raketenforscher Wernher von Braun und dem Physiker Hans Joachim Pabst von Ohain plante er nichts Geringeres als eine Revolution der Flugtechnik. Der erste Schritt: Im Juni 1939 startete das erste Flugzeug mit Raketenantrieb, die "He 176".

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Heinkel profitierte sehr vom Unrechtsregime der Nazis, sagt der Historiker Lutz Budraß im dpa-Interview.

Herr Budraß, welche Verbindung hatte Ernst Heinkel zu den Nazis?

Budraß: Meiner Meinung nach war er der größte industrielle Profiteur von Arbeitern aus den Konzentrationslagern. Bei der Beschäftigung von KZ-Häftlingen hatte er eine Pionierrolle. Für ihn fand die erste Selektion von Juden im polnischen Generalgouvernement statt. Als in der Stadt Mielec 1942 das Ghetto aufgelöst wurde, kamen die arbeitsfähigen Juden in seine Werke. Die anderen wurden abgeschoben und später getötet. 1944 arbeiteten rund 10 000 KZ-Häftlinge in Heinkels Werken.

Schon 1933 war Heinkel in die NSDAP eingetreten. War er ein überzeugter Nationalsozialist?

Budraß: Heinkel hatte nach einem Flugzeugabsturz ein schiefes Gesicht. In der NSDAP gab es daher anfangs großen Widerstand dagegen, ihn aufzunehmen – man hielt ihn für einen Juden. Der Gauleiter von Mecklenburg setzte sich aber bei Hermann Göring dafür ein, ihn schon 1933 in die Partei aufzunehmen. Trotzdem hatte Heinkel auch jüdische Freunde, denen er nach 1945 glaubhaft versichern konnte, dass er sie nicht aus rassischen Gründen als schlecht einschätzte.

1948 wurde Heinkel als Mitläufer eingestuft, in einem Berufungsverfahren dann aber entlastet. Warum?

Budraß: Die Behörden wollten sich in dem Verfahren den Unternehmer sichern. Landauf, landab hatte Heinkel angekündigt, er schaffe Hunderte Arbeitsplätze, wenn er sein Werk zurückbekäme. Das gab am Ende den Ausschlag. Der Freispruch ist sehr fragwürdig.

Langfristig durchsetzen sollte sich aber die Technik der Düsenantriebe, die das Team parallel entwickelte. Die "He 178" konstruierten Heinkel und Co. in aller Stille. Dort, wo sonst ein Propeller war, war ein Loch. Aus dem Heck der Maschine zischte ein heißer Gasstrahl.

"Bammel hatte ich schon, das muss ich zugeben", erzählt Testpilot Warsitz später seinem Sohn. Aber das Experiment gelingt: Acht Minuten lang rast der Flieger durch die Luft, mehr als 600 Kilometer in der Stunde schnell, dann landet er sicher.

Nur wenige waren vorab in die Pläne eingeweiht – die NS-Machthaber gehörten nicht dazu. Der Luftwaffe waren Heinkels Methoden angeblich zu unkonventionell.

Trotzdem blieben die Bande zwischen den Heinkel-Werken und dem Unrechtsregime der Nazis eng, sagt der Historiker Lutz Budraß von der Ruhr-Uni Bochum. "Meiner Meinung nach war Heinkel der größte industrielle Profiteur von Arbeitern aus den Konzentrationslagern." Bis zu 10.000 KZ-Häftlinge gleichzeitig mussten demnach für Heinkel arbeiten.

Im Zweiten Weltkrieg produzierten die Heinkel-Werke Kampfflugzeuge in Serie. "Heinkels Flugzeuge verbreiteten Angst und Schrecken unter der Zivilbevölkerung", sagt Michael Techritz, Vorsitzender des Förderkreises Luft- und Raumfahrt Mecklenburg-Vorpommern.

Mit der Befreiung Deutschlands durch die Alliierten wurde Heinkels Flugzeugwerk zerschlagen. Heinkel selbst wurde verhaftet und 1948 als Mitläufer eingestuft. Im Berufungsverfahren erklärte ihn die Spruchkammer jedoch zum "Entlasteten". Das Urteil bescheinigte, dass er ein Mann mit demokratischen und sozialen Anschauungen sei. Die technischen Leistungen seiner Werke beschrieb Heinkel selbst als persönliches Verdienst – wohl auch, um abzustreiten, dass er von den Nazi-Verbrechen begünstigt wurde, so Budraß.

Heinkel erhielt einen kleinen Teil seines Imperiums, die Motorenwerke in Stuttgart-Zuffenhausen, zurück. Im geringeren Umfang als zuvor setzte er seine Arbeit bis zu seinem Tod 1958 fort. Insgesamt entwickelte sein Unternehmen mehr als 150 Flugzeuge aller Art; mehr als 1350 Patente meldete es an. Unvergessen für die moderne Luftfahrt bleibt aber vor allem ein Versuchsflugzeug: Die 7,50 Meter lange und knapp zwei Tonnen schwere "He 178".

(anw)