Bundesregierung fordert eine Art Veto-Recht bei der ICANN

Hubert Schöttner vom Bundeswirtschaftsministerium hat sich im Rahmen der geplanten Aufgabe der Aufsicht der US-Regierung über Teile der Netzverwaltung für eine stärkere Rolle einzelner ICANN-Beiräte ausgesprochen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 10 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Die Bundesregierung plädiert für eine stärkere externe Kontrolle über das Entscheidungssystem der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN). Es gebe "einige Bereiche", in denen eine Art Veto-Recht für den Regierungsbeirat und andere feste Beratungsgremien der kalifornischen Einrichtung zur Netzverwaltung existieren sollte, erklärte Hubert Schöttner vom Bundeswirtschaftsministerium am Dienstag auf einem Zukunftsdialog des Verbands der deutschen Internetwirtschaft eco. Er habe dafür aber keine Patentlösung.

Hubert Schöttner,Wolfgang Kleinwächter und Hans Peter Dittler (v.l.)

(Bild: Stefan Krempl / heise online)

Die US-Regierung will sich bis Ende September 2015 aus der Verantwortung für zentrale Teile der Internet-Infrastruktur zurückziehen. Die bisherige "Sonderrolle" der USA sei "immer Stein des Anstoßes in der internationalen Diskussion" gewesen, meinte Schöttner. Im Gegenzug müssten aber neue Verantwortungsstrukturen für die ICANN geschaffen werden.

"Regierungen sollten auch in der künftigen ICANN-Organisation eine wichtige Rolle einnehmen", heißt es dazu in einem vorläufigen Positionspapier der Bundesregierung, das heise online vorliegt. Dabei müsse geprüft werden, ob die Staatenvertreter "zu einzelnen, genau zu definierenden Fragestellungen mehr als eine beratende Rolle benötigen – etwa für bestimmte Einzelfragen bei der Einführung neuer generischer Top Level Domains" (gTLDs) und dem Verwenden geografischer Namen. In jedem Fall sollte die Kontrolle über die "eigenen" länderspezifische Top Level Domains wie .de weiterhin der Souveränität des betreffenden Landes unterliegen.

Ein sich "ausschließlich selbst kontrollierendes autonomes Entscheidungssystem für die ICANN" sei abzulehnen, heißt es in dem Diskussionsentwurf weiter. Nötig sei eine zusätzliche Instanz, die prüfe, ob ICANN-Entscheidungen innerhalb des Mandats liegen und Verfahrensweisen durch Beteiligung aller Interessengruppen im Einklang mit dem vielbeschworenen Multi-Stakeholder-Modell entwickelt wurden. Generell dürfe der "enge" Aufgabenbereich der Netzverwaltung, der sich auf die Vergabe von TLDs und IP-Adressen beschränke, nicht ausgeweitet werden.

Eine "gewisse Aufsicht" über die ICANN sei natürlich nötig, befand Wolfgang Kleinwächter, der im Vorstand der Netzverwaltung sitzt. An die Stelle der US-Regierung dürfe aber kein "zwischenstaatliches Gremium" treten. Sonst werde die Zuweisung jeder neuen TLD zu "politischem Fußball". Die Kunst bestehe darin, eine direkte Regierungsbeteiligung zu vermeiden und zugleich einen stabilen Kontrollmechanismus zu finden.

Die Internet Assigned Numbers Authority (IANA), deren Entscheidungen derzeit die National Telecommunications and Information Administration (NTIA) der USA noch formell absegnet, hat Kleinwächter zufolge eine "rein notarielle Funktion" bei der Verwaltung der Internet-Rootzonen. Die Angst in manchen Ländern, dass Washington damit einzelne Domains aus dem Netz schmeißen könne, sei hochgespielt worden. Eine solche Entscheidung müsste von den anderen zwölf Rootservern gespiegelt werden, die mit den USA aber keine vertraglichen Verpflichtungen hätten.

Als besonders gefährlich bezeichnete der Netzpolitikprofessor an der Universität Aarhus Bemühungen Russlands, im Rahmen der Generalkonferenz der Internationale Fernmeldeunion (ITU) in zwei Monaten einen alten Vorschlag aufzuwärmen, demzufolge einzelne Länder IP-Adressen nur über staatliche Stellen vergeben könnten. "Das würde das Internet spalten", warnte Kleinwächter. Die Bundesregierung müsse mit Verbündeten derartige Initiativen klar zurückweisen.

Der laufende ICANN-Reformprozess stoße parallel "in Neuland" vor, räumte Kleinwächter ein. Derzeit sei eine Koordinierungsgruppe dabei, Ideen für die IANA-Übergabe zu sammeln. Sie habe in einem ersten Schritt ein Papier zur Definition der angestrebten Entscheidungsfindung im "groben Konsens" erarbeitet. Bis April solle der gesamte Vorschlag auf dem Tisch liegen, der dann noch von der US-Regierung zu prüfen sei. Diese habe ihren Ausstieg an Bedingungen geknüpft, wonach durch die neue IANA-Aufsicht die Stabilität des Netzes nicht gefährdet und die Kontrolle nicht durch eine andere Regierung ausgeübt werden dürfe. Zudem sei die Beteiligung aller Interessensvertreter zu gewährleisten.

Hans Peter Dittler, Präsident der deutschen Abteilung der Internet Society (ISOC), wies ebenfalls Rufe nach einer grundsätzlichen Neupositionierung der ICANN zurück. "Wir sehen wenig Handlungsbedarf", erklärte der Berater. Was die IANA derzeit leiste, beschränke sich auf eine "bessere Datenbankfunktion". Die Suche nach einem ordentlichen Übergang zu einer Aufsicht ohne die NTIA dürfe nicht mit einer umfassenden ICANN-Reform vermischt werden, da dazu die Zeit momentan zu knapp sei.

Auch eco-Vorstandsmitglied Oliver Süme lobte prinzipiell das ICANN-Modell. Es sei das weltweit einzige Beispiel für eine seit fast 20 Jahren funktionierende Selbstverwaltung einer global bedeutenden Ressource. Dirk Krischenowski vom Berliner TLD-Berater Dotzon sah dafür umso größeren Änderungsbedarf in einzelnen praktischen Arbeitsbereichen. Er monierte "zahlreiche Fehlentscheidungen" beim Prüfen von Anträgen für neue gTLDs. Ein Vertreter des Pharmakonzerns Merck, der noch um seine eigene Domäne kämpft, hieb in die gleiche Kerbe. Zugleich betonte er, dass etwa Aspekte des Daten- oder Markenschutzes nicht vom angeblich rein technischen Prozess der Domain-Vergabe abgekoppelt werden könnten. (anw)