Netzpolitischer Streit in der Großen Koalition: Breitband vs. Netzneutralität

Jens Koeppen (CDU), Vorsitzender des Bundestagsausschusses für die digitale Agenda, will Providern zusätzliche "Servicedienste" erlauben, wenn sie ländliche Regionen an die Datenautobahn anschließen. Die SPD hält dagegen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 81 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

Netzpolitiker sind sich uneins darüber, ob Investitionen in den Breitbandausbau damit verbunden sein sollen, das Prinzip des offenen Internets aufzuweichen, wie es in der Netzallianz zwischen Staat und Wirtschaft diskutiert wird.

Jens Koeppen, Lars Klingbeil, Halina Wawzyniak, Konstantin von Notz, Bernhard Rohleder (Bitkom)

(Bild: Stefan Krempl / heise online)

"Wenn wir keine Servicedienste zulassen", werde ein Anleger sich fragen, warum er etwa Hochgeschwindigkeitsleitungen in der Uckermark verlegen solle, gab Jens Koeppen, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für die digitale Agenda, am Dienstag auf einem "Politischen Abend" des IT-Branchenverbands Bitkom in Berlin zu bedenken. Entsprechend bevorzugte Spezialdienste müssten aber "diskriminierungsfrei" angeboten werden.

Den Netzausbau bezeichnete der aus der genannten Brandenburger Region stammende CDU-Politiker als wichtigstes Thema des neu eingerichteten Ausschusses. Um die digitalen Potenziale zu heben, brauche es schließlich zunächst schnelles Internet auch im ländlichen Raum. Die dafür benötigten rund 20 Milliarden Euro könne der Gesetzgeber nicht einfach "in den Haushalt reinschreiben". Vielmehr müsse er Geschäftsmodelle fördern, damit die Netzbetreiber ihre Investitionen refinanzieren könnten.

Bei Bitkom-Vertretern rannte Koeppen mit diesen Überlegungen offene Türen ein, doch netzpolitische Puristen und Aktivisten dürften darin einen Verstoß gegen die Netzneutralität sehen. Sie wollen, dass weiterhin alle Datenpakete möglichst mit gleicher Priorität transportiert werden.

Vertreter von Netzausrüstern und große Zugangsanbieter zeigen sich seit Jahren überzeugt, dass beispielsweise Videoanwendungen, Online-Fernsehen oder das Smart Grid eine "Ausdifferenzierung" von Qualitäts- und Preisklassen im Internet erfordern. Im Rahmen der Netzallianz, die auf Regierungsseite vom Minister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Alexander Dobrindt (CSU), vorangetrieben wird, haben sich gerade die Deutsche Telekom und Vodafone erneut vehement dafür ausgesprochen, solch teurere Spezialdienste anbieten zu können.

Im "Kursbuch" der Netzallianz heißt es, "Qualitätsmerkmale bei der Datenübertragung" könnten einen zusätzlichen Beitrag für die Refinanzierbarkeit von Netzen leisten. "Regelungen zur Netzneutralität sollten daher keine neuen Geschäftsmodelle zu Lasten zukünftiger Innovationen und Produktvielfalt erschweren." Pläne für Mauthäuschen auf dem Datenhighway stellen aber das Prinzip des Universalnetzes in Frage, das allen Teilnehmern unabhängig von ihrer Finanzkraft oder Größe die gleichen Chancen einräumt.

In diesem Sinne bezeichnete Lars Klingbeil, netzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, einen "Deal", die Netzneutralität im Gegenzug für Investitionsversprechen in den Breitbandausbau aufzuweichen, beim Bitkom als "grundfalsch". Er erinnerte Koeppen daran, dass Schwarz-Rot im Koalitionsvertrag "etwas anderes beschlossen" habe.

Zugleich betonte der Sozialdemokrat, dass der Bereich Netzneutralität vom SPD-geführten Bundeswirtschaftsministerium bearbeitet werde. Solche Fragestellungen werde daher "Sigmar Gabriel als Wirtschaftsminister entscheiden". Der wartet momentan aber auf Vorgaben aus Brüssel.

Der Netzexperte der Grünen, Konstantin von Notz, ergänzte, dass das gesamte Breitbandthema im Wirtschaftsressort wohl besser aufgehängt wäre. Auf Holperstraßen und marode Brücken anspielend sagte er: "Man sieht sehr gut im Verkehrsministerium, wie hart schlechte Infrastrukturen einmal aufschlagen."

Die netzpolitische Sprecherin der Linken, Halina Wawzyniak, monierte, dass die Finanzierungsfrage des Breitbandausbaus selbst in der digitalen Agenda der Bundesregierung "komplett unbearbeitet" sei. Ihr sei es dabei wichtig, darunter "tatsächlich Glasfaser bis an die Haustür" zu verstehen. Um die dafür benötigten Milliarden zu stemmen, müsse es "einen Mix geben zwischen der Verpflichtung großer Unternehmen und Genossenschaften" sowie regionaler Zusammenschlüsse.

Wawzyniak sieht sie hier genauso wie etwa beim Thema Regeln für Bitcoin und andere digitale Währungen eher Wirtschafts- und Finanzpolitiker gefordert als das Gremium für die digitale Agenda. Klingbeil bezeichnete die digitale Wirtschaft dagegen als "eines der Hauptthemen" der netzpolitischen Agenda. Gründern versprach er: "Bei Startups sind wir dran."

Generell wollte Koeppen das "Gejammere" nicht mehr hören, dass der Ausschuss nur mitberatend sei, die Entscheidungen letztlich in den etablierten Parlamentsgremien fielen und die Regierung den neuen Debattierclub nicht ernst nehme. Jüngst habe Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) "anderthalb Stunden bei uns gesessen", hielt der Vorsitzende fest. Zudem habe der Ausschuss inzwischen entgegen früherer Ansagen die Federführung für die digitale Agenda der Regierung erhalten, sei also hauptsächlich für deren parlamentarische Begleitung verantwortlich. (anw)