Kommentar: Ein Gipfel von Gestern

"Gipfel", das klingt nach Höhepunkt. Was Bundesregierung und Wirtschaft bei ihrem "IT-Gipfel" am Dienstag in Hamburg geboten haben, war alles andere als eine Spitzenvorstellung, meint Falk Steiner.

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Von
  • Falk Steiner

Ein "Gipfel", so das allgemeine Sprachverständnis, ist ein Höhepunkt. Doch davon ist das, was sich am Dienstag in Hamburg abspielte, so weit entfernt wie der Grund des Marianengrabens von der Spitze des Mount Everest. Seit 2006 ist der IT-Gipfel der Bundesregierung ein – mit Ausnahme von 2013 – jährlich wiederkehrender Termin, einer, der zwischen den Gipfeln mit Arbeitsgruppensitzungen, sogenannten Sherpa-Treffen und jeder Menge Minimalkompromisse verbunden ist. Am Ende stehen vor allem freundliche Floskeln der Wertschätzung, vorgetragen von Ministern, Verbandspräsidenten, Kanzlerinnen, Unternehmensbossen.

Ein Kommentar von Falk Steiner

Falk Steiner ist Journalist in Berlin. Er ist als Autor für heise online, Tageszeitungen, Fachnewsletter sowie Magazine tätig und berichtet unter anderem über die Digitalpolitik im Bund und der EU.

Dabei gäbe es so viel, über das sich ernsthafter Streit lohnen würde. Das wirre Statement der Kanzlerin zur Netzneutralität zum Beispiel, eine Steilvorlage für eine ernsthafte Diskussion. Der Breitbandausbau, die "Industrie 4.0", die man sicher auch ohne Bullshit-Bingo diskutieren könnte, auch, wie man informationelle Selbstbestimmung in Zukunft wirklich erreichen kann. Oder gar, wie viel und welche Arten von Überwachung legitim sein können.

Doch unübersehbar fehlt der Spitzenebene in den Ministerien immer noch das Gefühl für die Themen, die sie eigentlich bearbeiten soll. Thomas de Maizières Äußerungen zum Thema Nacktbilder in Clouddiensten zeigten eindrucksvoll, wie wenig der Minister die Komplexität des Problems durchdrungen hat. Soll man halt nicht machen, lautet sein Credo. Kein Wort dazu, dass Nutzer heute gar nicht mehr bemerken, was alles in Clouddiensten landet. Wäre es wirklich zu viel verlangt, wenn ein Minister, der sich dazu äußert, mehr versteht als nur das, was auf einen Bildzeitungstitel passt?

Doch der IT-Gipfel ist kein Ort für Diskussionen oder gar Entscheidungen, sondern eine Verkündungsveranstaltung. Wie ein viel zu lang geratenes Pressestatement, bei dem die wichtigsten Akteure keine Fragen und Infragestellungen zulassen, wird dort die Weisheit verkündet – oder zumindest das, was die hohen Damen und Herren dafür halten.

Es wäre Zeit, den Gipfel zu streichen und stattdessen etwas wirklich Neues auf die Beine zu stellen. Etwas, bei dem die üblichen Verdächtigen aus Ministerien, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft nicht versuchen, ihre Interessen durchzudrücken und mit dem Finger auf die jeweils anderen zu zeigen oder – noch schlimmer – so lange kuscheln, bis Aufträge dabei herausspringen. Etwas, bei dem das Lernen voneinander und das Nachvollziehen der Argumente der Anderen im Mittelpunkt steht.

So ein neues Format benötigte vor allem Demut und Offenheit. Doch beides fällt den Beteiligten in der Politik, egal auf welcher Seite, überaus schwer. Und beides hat mit dem IT-Gipfel leider überhaupt nichts zu tun. Weshalb auch 2015 wieder ein IT-Gipfel droht, der als anachronistisches Relikt der Frühzeit der Netzpolitik dann folgerichtig am besten im Berliner Naturkundemuseum ausgerichtet werden sollte – in der paläontologischen Abteilung. (vbr)