Cloud-Fragmentierung: Sirenengesang aus den Wolken
Vor wenigen Jahren war die Cloud für viele Chefs ein rotes Tuch. Häufig schlossen Fachbereiche Service-Verträge ab, ohne die IT zu informieren. Jetzt überbieten sich alle Großen darin, den Anwendern entsprechende Vereinheitlichungen zu verkaufen.
- Harald Weiss
- Moritz Förster
Mahatma Gandhi soll folgende Weisheit über die Revolutions-Anführer gesagt haben: "Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann kämpfen sie gegen dich – und dann gewinnst du!" So ähnlich war die Entwicklung in den letzten Jahren beim Cloud-Computing und den etablierten Infrastruktur-Anbietern. Salesforce, Amazon und Google-Business wurden zunächst ignoriert und dann von Oracle, Microsoft und vielen anderen belächelt. Doch inzwischen sind alle Großen auf den Cloud-Zug aufgesprungen und machen den Pionieren massive Konkurrenz. Das heißt, die Cloud hat gewonnen.
Wildwuchs
Nachdem also der Siegeszug der verschiedenen Cloud-Strukturen unstrittig ist, gilt es nun, das Schlachtfeld aufzuräumen. Da hat sich nämlich allerhand Gerümpel angesammelt. Oracle-Co-CEO Mark Hurd sprach jüngst davon, dass es viele Unternehmen gibt, in denen bis zu 20 verschiedene Cloud-Anbieter vertreten sind – jeder mit mehreren Anwendungen. Mit anderen Worten: Nach dem Wildwuchs von Servern und Applikationen, dem anschließenden Wildwuchs an virtuellen Maschinen (VM) hat sich nun ein immenser Wildwuchs an Cloud-Lösungen ausgebreitet.
Generell bieten sich zur Vereinheitlichung zwei Vorgehensweisen an. Entweder Konsolidierung aller innerbetrieblichen Cloud-Anwendungen auf eine Plattform – zumindest aber auf einen Anbieter, oder eine Cloud-übergreifende Integration der bestehenden Anwendungen. Technisch gesehen ist dem ersten Weg immer der Vorzug zu geben, weil damit nicht nur eine einheitliche Plattform zum Einsatz kommt, sondern auch eine Lieferanten-Konsolidierung erfolgt. Das wiederum bedeutet weniger Schuldzuweisungen und Abstimmungen. Doch in vielen Fällen ist das ein steiniger Weg, denn an den einzelnen Cloud-Silos hängen bereits diverse Geschäftsprozesse, die man nicht so ohne weiteres auf andere Plattformen transferieren kann.
Dessen ungeachtet singen alle alten und neuen Cloud-Unterstützer genau dieses Lied. Dabei beschimpfen sie jeweils die anderen Anbieter einer proprietären Systemstruktur, wogegen es bei den eigenen Angeboten keine Restriktionen geben würde. "Kein Cloud-Anbieter ist an einer Interoperabilität interessiert", meint George Kurian von NetApp. Das stimmt. Noch nie waren die IT-Anbieter an Kompatibilität und Austauschbarkeit interessiert, denn das drückt auf die Margen. NetApp und EMC waren hier mit ihren Storage-Systemen über viele Jahre hinweg die führenden Beispiele.
Hybrid-Clouds
Jetzt soll es bei den neuen Cloud-Anwendungen ähnlich gut funktionieren. Hierbei setzen die großen Infrastrukturanbieter vor allem auf eine PaaS-Verbindung von On-Premise und Cloud, also den sogenannten Hybrid-Clouds. Ziel ist es, die interne Plattform mit proprietären Systemkomponenten auszustatten über die dann entsprechend kompatible Systemkomponenten bei den PaaS-Providern optimal angeschlossen werden können. Die großen Cloud-Provider, wie Amazon, Microsoft oder IBM, springen schnell auf diesen Zug auf, da sie sich darüber gutes Zusatzgeschäft versprechen. Doch die Anwender sollten vorsichtig sein, denn das bedeutet fast immer eine extrem starre – und letztlich teure – Lieferanten-Bindung.
Außerdem unterstützt der gegenwärtige Cloud-Trend nicht die Behauptung, dass alles einheitlich sein muss. Hybrid-Cloud-Lösungen betreffen vor allem die Erweiterung bestehender Anwendungen – häufig sogar Legacy-Lösungen auf Mainframes, denen jetzt ein modernes User-Interface übergestülpt wird. Das ist durchaus interessant, doch das Hauptinteresse der Fachbereiche und IT-Chefs an der Cloud-Nutzung konzentriert sich auf zwei Bereiche: Erstens, alles Neue wird inzwischen Cloud- und Mobile-First entwickelt, und hier sollte die Wahl der genutzten Plattform unabhängig davon sein, wie gut sich Mainframes anbinden lassen. Zweitens, individuelle IT-Anwendungen werden zum entscheidenden Konkurrenzfaktor. Deshalb müssen sie schnell entwickelt und verfügbar sein. Und auch diese Plattform sollte von Altlasten frei sein.
Nicht zwanghaft vereinheitlichen
Damit kein Missverständnis aufkommt: Der Cloud-Wildwuchs muss eingedämmt werden und die betroffenen Anwendungen und Daten sind zu verknüpfen. Doch es gelten hier die gleichen Gesetze, wie bei der Vereinheitlichung von On-Premise-Lösungen: Man muss nicht alle Anwendungen auf denselben Enterprise-Bus zwingen; man kann sogar in vielen Fällen die kaum integrierbaren Converged-Systems einsetzen – wenn es sich um entsprechend isolierte Anwendungen handelt.
Ähnlich ist es bei der Cloud. Die Daten, Programme und Geschäftsprozesse müssen jetzt nicht zwanghaft vereinheitlicht werden. In vielen Fällen reichen Cross-Integrationen, wie sie beispielsweise von der Software AG angeboten werden, völlig aus. Damit macht man auch den Anbietern deutlich, dass man nicht auf deren Sirenengesang aus den Wolken hereingefallen ist. Und man hat weiterhin die Freiheit, fallweise das zu nutzen, was den jeweiligen Anforderungen entspricht und preisgünstig zu erwerben ist. (fo)