Eisige Kälte rettet Leben

Es klingt wie Science-Fiction: Mediziner wollen das Blut von Schwerverletzten gegen eine Kältelösung tauschen, um ihre Überlebenschancen zu steigern. Bei Tieren funktioniert es bereits.

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Von
  • Joseph Scheppach

Es klingt wie Science-Fiction: Mediziner wollen das Blut von Schwerverletzten gegen eine Kältelösung tauschen, um ihre Überlebenschancen zu steigern. Bei Tieren funktioniert es bereits.

Holpernd setzt der Herzschlag ein. Dann ertönt ein wohliges Grunzen in der Tierversuchsanstalt des University of Pittsburgh Medical Centers (UPMC). Das Schwein richtet sich auf. „Dieses Tier war über eine Stunde tot. Doch wir haben es wohlbehalten ins Leben zurückgeholt“, erklärt Mediziner Peter Rhee von der University of Arizona in Tucson, der mit den Forschern aus Pittsburgh kooperierte. Dutzende Schweine, Hunde, Ratten und Mäuse wurden in den vergangenen Jahren in US-Labors in einen künstlichen Scheintod versetzt und nach mehreren Stunden erfolgreich wiederbelebt. Was makaber klingt, hat einen ernsten Hintergrund und soll die Notfallmedizin revolutionieren. Forscher wie Rhee wollen die in Tierversuchen erprobte Technik auch am Menschen einsetzen – und damit etwas wagen, wovon bislang nur Science-Fiction-Autoren geträumt haben.

Hat ein Patient die Hälfte seines Blutes oder mehr verloren, entscheiden Minuten über Leben und Tod. Die Ärzte in den Notaufnahmen klemmen verletzte Adern ab, um den Blutverlust zu stoppen, und pumpen Blutkonserven in den Körper. Zudem versuchen sie mit Eis und Kühlaggregaten, den Stoffwechsel der Patienten zu drosseln. Viele Wunden seien leicht zu vernähen, sagt Rhee. „Aber die Chirurgen brauchen Zeit.“ Die haben sie bei einem massiven Blutverlust nicht. Denn oft verursacht er einen Herzstillstand. Nur ein Prozent der davon betroffenen Patienten verlässt das Krankenhaus lebend.

Wie sich kostbare Stunden gewinnen lassen, haben Rhee und sein früherer Forschungspartner Samuel Tisherman in spektakulären Tierversuchen gezeigt. Sie fügten Schweinen unter Vollnarkose schwere Verletzungen zu, um die Blutungen eines Ernstfalles nachzustellen. Simultan wurde ihnen über einen Schlauch zwei Grad kalte Kochsalzlösung in die Hauptschlagader gespült. Innerhalb von drei Minuten sackte die Körpertemperatur auf zehn Grad Celsius. „Das Herz schlägt nicht mehr, kein Atem geht, das Gehirn arbeitet nicht mehr und kein Blut ist mehr vorhanden. Wenn ein Organismus so stark heruntergekühlt ist, würde wohl jeder sagen: Das Lebewesen ist tot“, sagt Tisherman, der inzwischen das Shock Trauma Center der University of Maryland in Baltimore leitet. Doch sobald der Chirurg die Wunden verschlossen hat und die Gefäße wieder mit warm gehaltenem Blut füllte, begann das Herz der Tiere zu schlagen. Bei späteren Verhaltenstests zeigte keines der Borstentiere neurologische Auffälligkeiten.

Schon seit Jahrzehnten ist bekannt, dass extrem ausgekühlte Menschen einen langen Sauerstoffmangel überleben können. 1999 beispielsweise steckte die verunglückte norwegische Medizinstudentin Anna Bâgenholm nach einem Skiunfall fast zwei Stunden in einem eisigen Bach fest, bevor man sie befreien konnte. Ihre Körpertemperatur betrug nur noch 13,9 Grad, ihr Herz schlug nicht mehr – medizinisch gesehen war sie erfroren. Doch es gelang, sie wiederzubeleben. Später wurde sie Chefradiologin in dem Krankenhaus, in dem man sie behandelt hatte.

(vsz)