Btx-Hack: Informierte Gesellschaft oder Informationsgesellschaft

Wie wird der Btx-Hack nach 30 Jahren beurteilt? Das soll eine Abendveranstaltung am heutigen Montag in Berlin klären. Die Zeitgenossen waren sehr unterschiedlicher Meinung.

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Btx-Hack: Informierte Gesellschaft oder Informationsgesellschaft

Btx-Terminal

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Die Wau Holland-Stiftung feiert zusammen mit dem Chaos Computer Club am heutigen Montag den 30. Jahrestag des Btx-Hacks. Seit zwei Wochen läuft ein Countdown mit der Veröffentlichung zeitgenössischer Dokumente und Reaktionen auf den Hack. Sie reichen von der Ablehnung der kriminellen Bande bis zur Ablehnung von Btx als staatliches TK-Kontrollsystem. Beide Varianten überzeichnen die Aktion, in der es um eine kritische Aneignung der Technik ging: "Eine 'informierte Gesellschaft' braucht freie Computernetze; eine 'Informationsgesellschaft' missbraucht sie nur."

Wenn nun die Wiederauferstehung des längst vom Netz genommenen Bildschirmtext-Dienstes gefeiert wird, dürfte auch über die politische Dimension des Hacks gestritten werden. Für Wau Holland und Steffen Wernéry war die Teilnahme am Btx-System ein großes Abenteuer und eine Lehrstunde im Aufdecken von Programmierfehlern, wie es Waus Rede auf dem DAFTA-Kongress der Btx-Anbieter zeigt.

Wau Holland vom Chaos Computer Club im November 1984. Mitglieder des Clubs hackten das BTX-System der Post.

Für die Bundespost war es die Fortsetzung eines Alptraums mit den drei Buchstaben IBM: Im Zuge der Entwicklung des Btx-Systems hatte Big Blue überraschend den Zuschlag bekommen, das dann den Einführungstermin der Software (September 1983) nicht halten konnte. Erst im Mai 1984 bekam die Post ein lauffähiges aber keineswegs ausgereiftes System, in dem fortlaufend Fehler entdeckt wurden.

Für die junge Partei "Die Grünen" war Btx der Gottseibeiuns. Der Informatiker Wilhelm Steinmüller, der seinerzeit den Begriff der informationellen Selbstbestimmung prägte, schrieb in seinem Gutachten für die Grünen über Btx im Mai 1983: "Btx ist nichts anderes als ein Rechnerverbund von Computern mit beliebiger Größe mit besonders billiger und idiotensicherer, vor allem privat finanzierter Datenein- und Ausgabe – also etwas ähnliches wie ein über die ganze Bundesrepublik verteiltes Großrechenzentrum. Btx ist kein Neues Medium, sondern spielt Neues Medium. Computerverbunde können eine fast unendliche Palette geistiger Arbeit erzeugen, hier erzeugen sie das "Produkt Neues Medium". Das bedeutet aber, dass Bildschirmtext kein Neues Medium ist, sondern dasselbe wie ein Großrechnerverbund mit der Rationalisierungsskapazität von Großrechnern."

Steinmüller prognostizierte, dass mit Btx jährlich eine Million Arbeitsplätze verschwinden werden und malte das düstere Bild einer Gesellschaft, in der Briefträger Luxuserscheinungen sind und Bücher nicht mehr auf Papier existieren, sondern als Btx-Seiten gekauft werden müssen. Noch vor dem Btx-Hack sagte Steinmüller den Hack des Systems voraus: "Btx ist derzeit das gegen äußere Einwirkungen am schlechtesten abgesicherte Computersystem der Welt. Jeder halbwegs findige Informatikstudent des dritten Semesters müsste bei einigem Geschick in dieses Netz eindringen können". Wie geschickt die jungen Hacker dabei zu Werke gingen, soll heute Abend im bcc Berlin diskutiert werden. (anw)