Niederlande: Realität mit Königin
Der niederländische Expo-Pavillon zeigt die Wirklichkeit ohne Schönheitsoperation.
An gut besuchten Expo-Tagen können die Schlangen am Pavillon der Niederlande schon einmal bis zu zwei Stunden lang sein. Die Tour beginnt mit einer Aufzugfahrt zur Aussichts-Plattform, von der aus man einen guten Blick über den Ostteil des Expo-Geländes hat. In einem kleinen, grasbewachsenen Hügel befindet sich dort die VIP-Lounge, in der am heutigen Dienstag, 6. Juni, die niederländische Königin unter einem Himmel aus glitzernden Aluminiumformen Platz nehmen soll. Gestern, am Tag davor, roch es in diesem Raum noch so streng nach frischem Lack, dass die Königin wohl Kopfschmerzen bekommen hätte.
Das Expo-Motto "Mensch – Natur – Technik" setzen die Niederländer als Realitätsschock um: 382 Menschen leben dort pro Quadratkilometer und machen das Land damit zum dichtbesiedeltsten Staat Europas. Das alles wird reflektiert in einer verstörenden Ausstellung. Von der Aussichtsplattform beginnt der Abstieg, und zwar außen am Gebäude entlang über eine Art Feuerleiter. Hinab zunächst ins Kino, den Schlüssel zur eigenwilligen Ästhetik dieser Länderpräsentation. Zwei Filme werden in hintereinander liegenden Räumen gezeigt.
Der erste Film wirkt, als wolle er sagen: "Schaut her, so ist es bei uns." Was ein europäischer Städter tagtäglich erleben kann, bekommt er hier als Film serviert. Autobahnen, Züge, Marktplätze, die Fahrt in einer Straßenbahn. Das alles in kleinen Häppchen, die schnell verwischen und in die nächste Szene überblenden. Der zweite Film scheint dem Betrachter zuzurufen: "Sieh, es ist vergeblich und nichts bleibt ungebrochen." Erzählt entlang mehrerer nur leicht zusammenhängender Geschichten zerbricht er seine Bewegungsrichtung stets in dem Moment, in dem man sich damit anfreunden möchte. Kein angenehmes Gefühl darf aufkommen, um auch nur kurz zu verweilen, selbst auf den Inseln nicht, die Bildzitate von van Gogh, Mondrian, Rembrandt und Escher in seinem Fluss bilden. Hinab, hinab geht es, abwärts in den Wald.
Tatsächlich ein Wald in lichter Höhe! Aber auch hier sahen die Pavillondesigner wohl die Gefahr, dass das beunruhigende Element zu kurz kommen könne. Die tragende Konstruktion bilden Stämme, die übrigens nicht aus den Niederlanden stammen. Den Himmel bilden grelle Neonleuchten, die klar machen: Es gibt kein Entrinnen. Der Wald ist nur eine Konstruktion, ein Element in dieser Show. Hier herrscht der Mensch und der ist klaustrophobisch. Der Kontrast zum direkt benachbarten Finnlandhaus könnte größer nicht sein. Dort leben 15 Menschen pro Quadratkilometer, die geringste Bevölkerungsdichte in Europa.
Im dritten Stock wird die Architektur des Erdgeschosses wieder aufgenommen, die man auf dem Weg zum Aufzug bereits erleben durfte. Der Pavillon als "Baum aus Beton". Dazwischen tauchen die Besucher in Multimedia-Shows ab, die teilweise recht unappetitlich wirken. Ein pickliges, gepierctes Gesicht bläst in Zeitlupe eine Kaugummiblase auf, die zerplatzt. Dann sieht man lange die ebenfalls gepiercte Mundhöhle. Vor dem Besuch des Pavillons sollte man also besser nichts essen. Eine Etage tiefer wartet ein Blumenbeet aus Topfpflanzen, zwischen denen auf winzigen LC-Displays Comic-Filmchen mit Bienen und Wolken ablaufen.
Einigermaßen schockiert verlässt der Besucher den "Dutch Burger". Vielleicht nachdenklich, vielleicht frustriert über die Ausweglosigkeit, mit der er entlassen wird aus diesem dunklen Haus, das wie der Hilfeschrei eines überbevölkerten, vielleicht im Meer versinkenden Landes erscheint. (frf)