Kognitive Computersysteme: Lernende Rechner mit "Wow-Faktor"

IT-Anwendungen, die natürlich mit Menschen interagieren und aus Erfahrungen lernen, stecken noch in den Kinderschuhen. In zehn Jahren sollen sie aber bei der Polizei oder in der Medizin üblich sein, prophezeien Experten.

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Kognitive Computersysteme: Lernende Rechner mit "Wow-Faktor"

(Bild: Bitkom)

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"Cognitive Computing" gilt spätestens seit dem guten Abschneiden der IBM-Plattform Watson in US-Ratesendungen als großes IT-Thema, in das Trends wie Big Data und die Cloud hineinspielen. Echte Umsätze macht die Industrie mit den Menschen verstehenden, von ihm lernenden und eigenständig entscheidenden Systemen aber noch nicht. Von einem Markt für solche Dienste könne man noch nicht sprechen, befand Alexander Linden vom Marktbeobachter Gartner am Dienstag auf dem Trendkongress der Branchenvereinigung Bitkom in Berlin.

Als einen der Gründe nannte Linden eine noch große Ungewissheit über die Ziele kognitiver Computersysteme. Ihm sei bislang auch kein Fall bekannt, in dem ein Projekt zeitgerecht und innerhalb des Budgetrahmens von Anbietern "produktiv" gestellt worden sei. Derzeit seien solche Unternehmungen mit großen Risiken behaftet. Es sei unklar, wie lange sie brauchten, wie teuer sie würden und wo ihr Mehrwert liege.

Trotz der Anfangsschwierigkeiten rechnet Linden damit, dass Cognitive Computing in fünf bis zehn Jahren "alles" durchdringen und die Wissensarbeit produktiver machen werde. Generell fasst er darunter Systeme, "die uns verblüffen" und ein "Wow-Gefühl" auslösten. So seien Rechner etwa schon heute in der Bilderkennung besser als Menschen, auch die Spracherkennung mache mithilfe neuronaler Netze erstaunliche Fortschritte und komme derzeit vor allem für virtuelle Assistenten wie Apples Siri oder Google Now zum Einsatz.

Der Münchner Data-Mining-Forscher Marcus Spies sieht kognitive Systeme auf gutem Weg, Verknüpfungen zwischen Nervenzellen und so das Denken zu simulieren. Diese Programme fänden mit der Zeit autonom heraus, ob ihnen gelieferte Informationen hälfen. Es sei daher weniger kritisch, ob ihnen "gute oder schlechte Daten" zur Verfügung gestellt würden. Der Wissenschaftler betonte, dass in EU-Projekten für Maschinenlernen wichtig sei, die Privatsphäre zu bewahren.

Dies gelte natürlich auch für Pilotprojekte der Polizei für "Predictive Policing", versicherte der nordrhein-westfälische Landeskriminaldirektor Dieter Schürmann. Der Leiter eines Testlaufs für diese Technik in NRW räumte ein, dass er bereits "viel Skepsis, viel Spott" geerntet habe. Er vertraue aber darauf, dass die rechnergestützte Verbrechensanalyse schneller werde und die Ordnungshüter sich so künftig "auf Räume konzentrieren können, in denen die Wahrscheinlichkeit exponentiell gestiegen ist, dass Straftaten passieren". Geheimdienstmethoden würden so aber nicht in die Polizeiarbeit einkehren.

Den öffentlichen Sektor sieht Wolfgang Hildesheim, Vermarkter von Watson bei IBM Deutschland, als Hauptanwendungsfeld für Cognitive Computing. Führende Krankenhäuser führten derzeit klinische Tests mit Patienten- und Arzneidaten im Kampf gegen Krebs durch. Jeder könne aber selbst entscheiden, ob er seine Informationen dafür freigeben wolle. Parallel seien Hunderte Firmen dabei, mit der Technik ihren Call Centern das Verstehen und Reden beizubringen. Hildesheim geht davon aus, dass in wenigen Jahren "niemand mehr eine klassische Suchmaschine mehr nutzen wolle". Bis dahin hätten sich semantische Verfahren mit hohem Sprachverständnis durchgesetzt, die dem Menschen das Denken und die Kreativität aber nicht abnähmen. (anw)