"Dreamfall Chapters: The Longest Journey"

Das Trilogie-Finale zu den Adventures "The Longest Journey" und "Dreamfall: The Longest Journey" wurde zum Release-Termin auch fĂĽr Linux freigegeben. heise open hat sich angesehen, ob das Spiel die Hoffnungen erfĂĽllen kann.

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Inhaltsverzeichnis

Das Intro des Adventures "Dreamfall Chapters: The Longest Journey" knüpft direkt an das vorhergehende Spiel "Dreamfall: The Longest Journey" an. Wer das nicht gespielt hat, sollte sich unbedingt zuerst die als eigener Menüpunkt verfügbare Story-Zusammenfassung ansehen. Allerdings sind selbst dann noch viele Dinge im Episoden-Adventure nicht sofort offensichtlich oder werden nur in manchen Dialogpfaden erklärt.

Dreamfall Chapters: The Longest Journey (13 Bilder)

Zwischenwelt

Zoë Castillo in der Zwischenwelt.

Die Story selbst ist spannend und knüpft nahtlos an den Vorgänger an. Das ist nicht weiter verwunderlich, stammt doch die Geschichte auch diesmal wieder aus der Feder von Ragnar Tørnquist, dem Autoren der beiden Vorgänger. In der von uns getesteten ersten Episode („Buch“ genannt) von Dreamfall Chapters sind viele alte Bekannte aus den beiden fiktiven Parallelwelten Arcadia (magische Fantasy-Welt) und Stark (dystopische Zukunftsvision der Erde im 23. Jahrhundert) weiterhin einer weltenübergreifenden Verschwörung auf der Spur.

Nach dem Intro übernimmt man zunächst die Kontrolle über das in der "Zeit der Geschichte" (englisch: Storytime) genannten Zwischenwelt gefangene Bewusstsein von Zoë Castillo. Dieses wird dort mit Hilfe einer Dreammachine wider Willen aufgrund der Geschehnisse im letzten Teil festgehalten. Die Dreammachines werden vom zwielichtigen Konzern WatiCorp vermarktet und versprechen außerordentliche Träume (genannt Dreamtime). Deren Verwendung hat allerdings auch Nebenwirkungen und so sind andere Träumer in Alpträumen in dieser Zwischenwelt gefangen. Während man einigen beim Ausbrechen aus den Träumen hilft, erlernt man die Steuerung von Zoës Traum-Manipulationsfertigkeiten. Nebenbei gelangt man zu dem Schluss, dass Zoë aufwachen muss.

Weiter geht es in der Rolle von Kian Alvane, einem Elite-Soldaten aus Arcadia, dem die Exekution wegen Verrates droht. Bevor es allerdings so weit kommt, befreit man sich mit Hilfe einiger Rebellen aus dem Gefängnis und erhält dabei eine Einführung in das Lösen von Rätseln.

Nach diesem kurzen Intermezzo geht es mit der in Stark erwachten Zoë weiter: In Europolis, einer sehr lebendig und glaubwürdig umgesetzten Stadt, versucht Zoë nicht nur ihre Erinnerungen wiederzuerlangen, die sie beim Aufwachen aus dem Koma verloren hat, sondern auch an ihre Beziehung mit Reze aus dem vorigen Spiel anzuknüpfen. Mit Europolis zeigt das norwegische Studio Red Thread Games auch das große Potential, das in dem Spiel steckt. Schon beim ersten Botengang, der uns mit dem zugänglichen Teil der Stadt vertraut macht, zeichnen die Gesprächsfetzen der Passanten gekonnt das Bild eines Polizeistaats und einer lebendigen Stadt, die kurz vor einer wichtigen Wahl steht. Das macht Lust, alle Winkel zu erkunden und lässt auf die weiteren Teile hoffen, denn derzeit gibt es neben dem Hauptquest noch nichts zu tun und zum Beispiel Bars sind noch verschlossen.

Zur Stimmung tragen auch die Dialoge bei, wobei die deutsche Synchronisation gut mit dem englischen Original mithalten kann. Der Soundtrack untermalt die Bilder geschickt und verstärkt das Gefühl eines epischen Films. Überhaupt wirkt das ganze Spiel in weiten Teilen wie ein interaktiver Film. Gespräche haben einen hohen Stellenwert. Bei bestimmten Antworten oder Aktionen wird man explizit darauf hingewiesen, dass sich das Gegenüber an die Entscheidung erinnern wird oder die "Balance" verändert wurde. Durch die vielen Stellen, an denen solche Entscheidungen anstehen, bietet es sich an, das Spiel weitere Male durchzuspielen, um andere Varianten auszuprobieren. Wer mag, kann das Spiel auch mit Facebook oder Steam verknüpfen und seine Entscheidungen mit anderen teilen. Wer lieber unbeeinflusst bleiben will, sollte den Offline-Modus aktivieren.

Die filmische Erzählweise hat zur Folge, dass sich das Spiel manchmal sehr linear anfühlt. Zusätzlich verstärkt wird dieser Eindruck durch das Fehlen von Nebenquests. Wie schon bei den Vorgängern können Dialoge sehr lang sein und man schaut minutenlang dem Gespräch zu, um nur an ein paar Stellen zu wählen, welche Antwort das eigene Alter Ego geben soll. Auch die Rätsel, die es zu lösen gilt, um voranzukommen, dürfen in den kommenden Teilen noch an Schwierigkeit zulegen. Derzeit bewegt sich alles auf dem Niveau einfacher Kombinationen: Einmal muss man etwa einen Pfeil und einen mit Öl getränkten Lappen kombinieren, um eine improvisierte Fackel zu bauen. Damit brennt man dann das Öl von einer Kette ab, sodass sich diese anschließend erklimmen lässt.

Die Grafik ist detailliert und die Szenen sind liebevoll zum Leben erweckt, auch, wenn Dreamfall Chapters es natürlich nicht mit einer AAA-Produktion aufnehmen kann. Steuern lässt sich das Spiel wahlweise mit Tastatur und Maus oder Gamepad, um den Protagonisten in einem Mix aus Third-Person-Steuerung und Point & Click zum Ziel zu führen. Das ist zwar nicht die reine Adventure-Lehre, aber in jedem Fall intuitiv und schnell zu erlernen.

Unter Linux machen einige Licht-Shader Probleme: statt Strahlen gibt es dann schwarze Streifen.

Leider liegt derzeit technisch noch so einiges im Argen, was auch dem Entwickler bekannt ist: manchmal ist die Verfolgerkamera etwas hakelig und das Anvisieren eines Objekts fällt unnötig schwer. Die Framerate ist an einigen Stellen instabil, Animationen wirken unnötig holzig, Objekte zeigen bei Bewegungen Clipping-Fehler oder es kommt – gerade unter Linux – zu Grafikfehlern. Einige davon soll der kürzlich erschienene Patch 1.1 beheben.

Aber auch sonst lässt sich technisch noch einiges verbessern, hier kommt es zu ungewolltem Clipping der Armmuskeln.

Im Test hatten insbesondere Licht-Shader mit einer AMD Radeon R9 290 für Ärger gesorgt; dabei sind die quelloffenen Treiber nur marginal schlechter (siehe Freedesktop.org-Bug #86038) als der proprietäre Catalyst 14.9. Auf der integrierten GPU eines Sandybridge-Systems (HD Graphics 2000) waren die Licht-Shader-Fehler hingegen nicht zu beobachten.

Update 19.01.2015: Mittlerweile wurde der Bug #86038 behoben.

Dreamfall Chapters ist noch nicht fertig und das ist sicherlich der größte Makel neben dem nahezu nahtlosen Einstieg, der neue Spieler verwirrt zurücklassen dürfte. Der erste Teil lässt sich – selbst wenn man alle Ecken und Enden erkundet und sich ein paar mal verläuft – in maximal fünf bis sechs Stunden durchspielen. Und auch, wenn das Entwicklerstudio versprochen hat, die weiteren Teile den Käufern kostenlos zugänglich zu machen, sind 30 Euro bei Steam, GOG oder im Humble Store für ein unvollständiges Produkt ein stolzer Preis. Wer damit leben kann und auch mit einigen Grafikfehlern zurechtkommt (die der Hersteller noch beheben will), wird mit "Dreamfall Chapters: Book 1" viel Spaß haben und Lust auf die weiteren Teile bekommen. Andernfalls sollte man lieber warten, bis das Spiel fertig ist und sich in der Zwischenzeit die ersten beiden Teile zu Gemüte führen. (Kai Wasserbäch/lmd) (lmd)