Der Futurist: Kinderkrankheiten

Was wäre, wenn wir unsere Kinder designen könnten?

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Was wäre, wenn wir unsere Kinder designen könnten?

Dr. Niklas van Houman braucht keine Schreibtischlampe, denn die Tapeten seiner Praxis leuchten hell genug. Auf dem Schreibtisch thront dafür die 3D-Projektion eines Pinguins mit Hirschgeweih. Er zwinkert den Kunden manchmal zu, als wolle er sagen: Vergesst, was ihr über Medizin zu wissen glaubt. Hier geht es anders zu.

Genau deshalb sind Max und Mia König im Herbst 2025 nach Delft gereist. Van Houman zieht mit einem lässigen Wisch vier Dateien auf den Displaytisch. "Das wären also unsere Kandidaten", sagt er. "Embryo C hat ein 15 Prozent höheres Risiko auf Retinitis pigmentosa." Max und Mia König schauen ihn fragend an, aber er ist schon bei Embryo B. "Hier haben wir keine Auffälligkeiten, aber den niedrigsten Score in sechs Vitalitätsfaktoren."

Er wischt zwei Dateien in den Papierkorb. "Bleiben also A und D", fährt er fort. "A ist ein Junge, blond, recht musikalisch. B ist weiblich, etwas sportlicher, aber ziemlich spezielle Immunfaktoren. Sollte sie irgendwann ein Spenderorgan brauchen, könnte das dauern."

2010 erlaubte es Deutschland, Embryonen vor der Einpflanzung auf schwere Erbkrankheiten zu untersuchen. In den folgenden 15 Jahren sind schleichend mehr als 800 Leiden aller Art auf der Liste gelandet. Über diese Diagnosen hinaus bietet van Houman etwas an, das selbst im liberalen Holland umstritten ist: Er macht komplette Genomanalysen der befruchteten Embryos. Algorithmen durchwühlen dann Datenbanken nach Korrelationen zwischen Genen und persönlichen Eigenschaften.

Bei körperlichen Merkmalen sind diese Zusammenhänge meist relativ robust, bei geistigen nicht ganz so. Darauf weist van Houman seine Kunden auch hin. In den Fußnoten, in Vier-Punkt-Schrift.

Die Königs entscheiden sich für Embryo A. "Da ist noch etwas", sagt van Houman. "Er entwickelt mit 60-prozentiger Wahrscheinlichkeit eine Allergie gegen Wegerich-Pollen. Ist nichts Gravierendes, kann aber in Asthma ausarten. Außerdem muss Ihr Sohn dann in den schönsten Wochen des Jahres drinnen bleiben. Wollen Sie das?"

Nein, das will Ehepaar König nicht. Van Houman zeigt ihnen eine Art Laserdrucker, der Gene Base für Base neu aufbauen kann. Ein Gen kostet 20000 Euro, ab drei gibt es eins umsonst. Die Königs schlucken, stimmen aber zu. Sie wollen später nicht an Triefnasen und verquollenen Augen schuld sein.

40 Jahre danach steht Axel König vor dem Spiegel und verrenkt sich den Hals. Seine Frau hat ihm gesagt, dass seine Ohren – nun ja, er solle sich seine Ohren halt mal genau anschauen.

In der Tat: Ihm wachsen Haare aus den Ohren, in dichten blonden Büscheln. König befiehlt seinem Badezimmerspiegel, der Sache nachzugehen. Schnell wird klar: Die Ohrverhaarung tritt nur bei Männern auf, die zwischen 2025 und 2028 geboren wurden. Das Phänomen hat sogar einen Spitznamen: "Houmans Rache". Beim Versuch, Allergien auszumerzen, hatte der Arzt offenbar auch Gen-Abschnitte verändert, die man damals für bedeutungslos hielt. Nun lassen sie beim Absinken des Testosteron-Levels unter einen gewissen Wert Haare an seltsamen Stellen sprießen.

Während die Betroffenen dem noch mit einem Nasenhaarschneider begegnen können, sind andere übler dran. Etwa Leute, deren Immunsystem für Tropenkrankheiten präpariert wurde, die der Klimawandel eines Tages in die Villen der Münchener Vororte bringen könnte – sie haben Probleme mit der Blutbildung.

Und Menschen, bei denen eine bestimmte Eiweißallergie gentechnisch korrigiert wurde, sind überaus anfällig für einen neuen Vogelgrippe-Virus. Wie viele solche genetischen Zeitbomben noch in der Bevölkerung lauern, weiß niemand, denn oft machen sie sich erst im höheren Lebensalter bemerkbar. Dafür ist Heuschnupfen in gehobenen Kreisen praktisch völlig verschwunden. (grh)