Ab in den Untergrund?

Erdkabel müssen nicht teuer sein, meint ein niedersächsischer Ingenieur. Er hat ein neues Konzept entwickelt, Stromleitungen im Erdboden zu verlegen.

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Von
  • Ralph Diermann

Erdkabel müssen nicht teuer sein, meint ein niedersächsischer Ingenieur. Er hat ein neues Konzept entwickelt, Stromleitungen im Erdboden zu verlegen.

Willi Traut hat sich eine Solaranlage auf sein Dach geschraubt, er ist gegen Atomkraft und für die Energiewende. Aber dass der Stromnetzbetreiber Amprion jetzt eine neue 380-Kilovolt-Freileitung an seinem Haus in der Nähe von Neuss vorbeiführen will – das geht ihm zu weit. "Die Leitung stellt ein großes gesundheitliches Risiko dar. Außerdem beeinträchtigt sie das Landschaftsbild massiv", erklärt Traut. Dass sie notwendig ist, bezweifelt der Rentner gar nicht. Zusammen mit seinen Mitstreitern einer lokalen Bürgerinitiative fordert Traut aber, die Leitung als Erdkabel zu verlegen.

Der Neusser Netzausbau gehört zu den 1877 Kilometern an neuen Drehstrom-Höchstspannungsleitungen, mit denen laut Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) Lücken im bestehenden Netz geschlossen werden sollen. Da es in Deutschland bislang kaum Erfahrungen mit Erdkabeln auf dieser Spannungsebene gibt, sind im EnLAG vier Trassen als Pilotstrecken ausgewiesen, auf denen die Netzbetreiber Teilstücke unterirdisch führen können. Ein erstes Projekt ist bereits in Arbeit: Amprion verlegt zurzeit bei Raesfeld an der niederländischen Grenze einen 3,4 Kilometer langen Abschnitt als Erdkabel.

Möchte ein Netzbetreiber in den Untergrund gehen, muss er sich das von der Bundesnetzagentur absegnen lassen. Drehstrom-Erdkabel sind nach Berechnungen der RWTH Aachen drei- bis achtmal teurer als Freileitungen. Die Kosten müssen die Verbraucher tragen, denn sie werden auf die Stromtarife umgelegt. Zudem sind auch die üblichen Erdkabeltrassen für Drehstromleitungen alles andere als unsichtbar. Amprion setzt für sein Projekt in Raesfeld eine Trassenbreite von insgesamt 22 Metern an.

Dort dürfen lediglich schwach wurzelnde Pflanzen wachsen. Landwirte können diese Flächen nur noch eingeschränkt bewirtschaften. Daneben müssen die Netzbetreiber alle 800 Meter garagengroße Gebäude errichten, die einen Zugang zu den sogenannten Verbindungsmuffen der einzelnen Kabelabschnitte ermöglichen – jenen Stellen, an denen die Kabelsegmente mittels fest installierter isolierender Schutzhüllen aus Gießharz oder speziellem Kunststoff dauerhaft aneinandergekoppelt sind.

Teuer und landschaftsschädlich – das muss nicht sein, meint Ingo Rennert. Der Ingenieur ist seit über zwanzig Jahren als Unternehmer mit Erneuerbare-Energien-Projekten beschäftigt, unter anderem mit der Planung des Netzanschlusses von Offshore-Windparks. Jetzt hat er – unabhängig von den etablierten Forschungseinrichtungen und ohne ein nennenswertes Budget im Rücken – mit seiner Firma Infranetz ein Konzept für Erdkabel entwickelt, die günstiger als die konventionelle Technologie sein sollen und zudem weniger in die Landschaft eingreifen.

Das Verfahren lässt sich nach Ansicht Rennerts nicht nur auf die neuen Drehstromtrassen wie die vor Willi Trauts Haus anwenden, sondern auch auf die drei geplanten, zusammen rund 2800 Kilometer langen Leitungen zur Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ). Sie sollen Strom aus dem Norden und Osten Deutschlands in den Süden und Westen transferieren. Für diese Stromautobahnen hat Rennert bereits detaillierte Vorschläge vorgelegt. "Wir sind nur ein kleines Planungsbüro und konzentrieren uns daher auf die HGÜ-Erdkabel", erklärt er.

Mehrere Tausend Arbeitsstunden seien in dieses Projekt geflossen, berichtet Rennert. Warum die Mühen? "Uns ist das eine Herzensangelegenheit", sagt der gebürtige Cuxhavener. "Es geht uns um Landschaftsschutz und um Vogelschutz. Kaum jemand weiß, dass in Freileitungen hierzulande jährlich 30 Millionen Vögel zu Tode kommen."

Auf Unterstützung der Netzbetreiber konnte er bei der Entwicklung seines Konzepts nicht zählen. Alleingänge ist er jedoch gewohnt: Schon vor 25 Jahren hat Rennert, damals noch bei VW beschäftigt, auf eigene Faust in seinem Wohnort nahe Wolfsburg ein Wasserkraftwerk gebaut. Anfang der Neunziger Jahre errichtete er einen der ersten großen Windparks in Deutschland.

Rennert ist überzeugt: "Keine HGÜ-Erdkabeltrasse muss breiter als drei Meter sein." Ein Graben von fünfzig Zentimetern Breite reiche völlig aus, um zwei Kabel mit einer Kapazität von zusammen einem Gigawatt aufzunehmen. Der Schacht, so Rennert, sollte mit sogenanntem Flüssigboden ausgegossen werden, der auch bei anderen Erdarbeiten eingesetzt wird. Das Material besteht aus dem Aushub, der gesiebt, mit Additiven versetzt und mit Wasser verflüssigt wird. Nach dem Aushärten bleibt es elastisch.

"Anders als der üblicherweise verwendete Magerbeton umschließt der Flüssigboden die Kabel über ihre ganze Lebenszeit fest und spaltenfrei. So lässt sich die entstehende Wärme gut abführen", sagt Rennert. Die Netzbetreiber könnten die Kabel unter Wirtschaftswegen, an Ackerrändern oder entlang der Wasserstraßen verlegen. Der Eingriff in die Landschaft bliebe gering. Auch Drehstrom-Erdkabel könnten nach Ansicht Rennerts in solch schmalen Kabelgräben mit Flüssigboden verlegt werden.

Darüber hinaus schlägt Rennert vor, muffenlose Kabelstücke zu verwenden, die in Koppelstationen über Stecker miteinander verbunden werden. Rennert setzt für die HGÜ-Kabelmodule eine Länge von drei Kilometern an, was die Zahl der Verbindungsstellen auf ein Drittel reduzieren würde. Da die Leitungen mit Gleichstrom arbeiten, hätten sie nicht mit längenbedingten Spannungsproblemen zu kämpfen, wie sie in den üblichen Drehstrom-Hochspannungskabeln auftreten, erläutert Rennert. "Im Prinzip lassen sich die Module daher beliebig ausdehnen. Ihre Maximallänge richtet sich allein danach,was für den Transport auf der Autobahn logistisch sinnvoll ist." Die Länge von Drehstrom-Erdkabelmodulen dagegen ist aus spannungstechnischen Gründen auf 1,5 bis 1,7 Kilometer begrenzt.

Nach Rennerts Konzept könnten die Erdkabel zudem samt der Kabelendverschlüsse im Reinraum konfektioniert und geprüft werden. So sei eine Lebensdauer verkürzende Verschmutzung auf der Baustelle ausgeschlossen. Gleichzeitig wäre es möglich, die Kabel im Reinraum mit Lichtwellenleitern zu versehen, die ein exaktes Monitoring erlauben. "Das vereinfacht die Wartung und macht sie planbar", so Rennert.

Robuste Kabel, ein gutes Monitoring, schmale Trassen: Rennert ist überzeugt, dass sein Ansatz nicht teurer ist als HGÜ-Freileitungen gleicher Kapazität. "Berücksichtigt man auch volkswirtschaftliche Kosten wie den Wertverlust der Immobilien in Freileitungsnähe, die Prozessrisiken oder die Verzögerung durch Klagen, ist unser Konzept sogar günstiger", erklärt Rennert.

Amprion teilt Rennerts Optimismus allerdings nicht. Das Konzept sei in weiten Teilen technisch auf absehbare Zeit noch nicht umsetzbar, erklärt ein Unternehmenssprecher. Zudem kritisiert der Netzbetreiber die Kostenkalkulation. "Hier sind Annahmen getroffen worden, die nicht nachvollziehbar erscheinen", sagt der Amprion-Sprecher. So sei es unrealistisch, Kosten für die Verlegung der Kabel zu nennen, ohne den exakten Verlauf der Trasse zu kennen.

Auch zwei Wissenschaftler der Universität Hannover äußern in einem von Tennet in Auftrag gegebenen Gutachten Zweifel am Infranetz-Konzept. So stellen die Forscher infrage, ob eine Kabelmodullänge von drei Kilometern angesichts des logistischen Aufwands – auch bei Reparaturen – wirklich sinnvoll ist. Darüber hinaus verweisen sie darauf, dass die Stecker, die die Module miteinander verbinden sollen, "bisher nicht oder nicht in dem für eine neue Technik erforderlichen Maße eingesetzt" worden sind. Die von Infranetz prognostizierte Lebensdauer der HGÜ-Erdkabel von achtzig Jahren "entzieht sich jeder wissenschaftlichen Basis". Positiv äußern sich die Wissenschaftler dagegen zur Einbettung der Kabel in Flüssigboden.

Um Freileitungen zu verhindern, sucht Rennert nun auch den Clinch mit der Politik. So hat er im Juli Verfassungsbeschwerde eingereicht. Seine Argumentation: Das Bundesbedarfsplangesetz zum Netzausbau biete keine Möglichkeit, gegen Entscheidungen für Freileitungen zu klagen. Doch die Anti-Erdkabel-Haltung der Bundesregierung bröckelt ohnehin.

So hat Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel vor einigen Wochen angekündigt, einzelne Strecken der geplanten Süd-Ost-Stromautobahn unterirdisch zu führen. Ob dabei das Infranetz-Konzept zum Zuge kommt, ist jedoch mehr als fraglich. Schon aus rechtlichen Gründen: Netzbetreiber müssen Leitungen laut Energiewirtschaftsgesetz nach dem Stand der Technik betreiben. Rennerts Konzept existiert aber bislang nur auf dem Papier. (bsc)