Roboter-Journalisten an der Wall Street

Für Software, die ursprünglich für das Verfassen von Nachrichten entwickelt wurde, hat sich ein neuer Karriereweg aufgetan: Sie schreibt jetzt Berichte für Finanzriesen und Geheimdienste – und bald vielleicht über das Innenleben von Geräten aller Art.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Tom Simonite

Für Software, die ursprünglich für das Verfassen von Nachrichten entwickelt wurde, hat sich ein neuer Karriereweg aufgetan: Sie schreibt jetzt Berichte für Finanzriesen und Geheimdienste – und bald vielleicht über das Innenleben von Geräten aller Art.

Entwickelt wurde die Software namens Quill von Narrative Science, einem Unternehmen aus Chicago, das dafür Technologie der Northwestern University kommerzialisiert hat. Sie macht aus numerischen Daten für Menschen lesbare Artikel. Schon bald wurde Quill von TV- und Web-Anbietern für Berichte über Baseball-Spiele und von Medien wie Forbes für Börsenmeldungen über Unternehmen eingesetzt.

Diese frühen Erfolge von Quill führten selbst zu Schlagzeilen, und die Software wurde als Beleg dafür gesehen, dass intelligente Maschinen menschliche Wissensarbeiter ersetzen können. Laut Stuart Frankel, dem CEO von Narrative Science, war die öffentliche Aufmerksamkeit, auch wenn sie teils ins Negative ging, ein Segen für das Unternehmen. „Viele Leute fühlten sich von dem, was wir taten, bedroht, und es gab viele Berichte über uns“, sagt er. „Das führte zu Anfragen aus ganz verschiedenen Branchen und damit zur Entwicklung eines neuen Geschäfts.“

Inzwischen vermietet Narrative Science das Schreibtalent von Quill auch an Finanzkunden wie T. Rowe Price, Credit Suisse und USAA. Eine der Hauptaufgaben dabei ist das Verfassen von langen Berichten über die Wertentwicklung von Investmentfonds für Anleger und Aufsichtsbehörden.

„Wofür eine kleine Armee von Leuten Wochen gebraucht hat, erledigen wir in Sekunden“, sagt Frankel, „für manche Finanzkunden liefern wir 10- bis 15-seitige Dokumente.“

Seit einer Investition durch In-Q-Tel, dem Wagniskapitalarm der CIA, arbeitet das Unternehmen auch für mehrere US-Geheimdienstkunden. „Die Kommunikationsanforderungen der US-Geheimdienste sind denen anderer Kunden sehr ähnlich“ – mehr will Frankel über dieses Geschäft nicht sagen. Insgesamt liefert Quill heute jeden Tag einige Millionen Worte.

Die von der Software verfassten Texte sind für eine Maschine durchaus bemerkenswert, können aber nicht ohne numerische Daten als Grundlage entstehen. Quill nimmt statistische Analysen an diesen Daten vor, sucht nach erkennbaren Signalen oder Trends und nutzt für das Schreiben einprogrammiertes Wissen über wichtige Konzepte wie Insolvenz, Gewinn oder Umsatz sowie die Zusammenhänge zwischen ihnen.

Der folgende Absatz stammt aus einem Anlagebericht von Quill. Er zeigt eine passable Textqualität, die aber immer noch ein wenig die maschinelle Herkunft erkennen lässt:

„Den größten Beitrag zur relativen Performance lieferte der Energiesektor, angeführt von der Aktienauswahl bei Ausrüstungs- und Dienstleistungsanbietern. Unter den Einzelaktien kam der größte Renditebeitrag von einer Position im Ausrüstungs- und Dienstleistungsunternehmen Oceaneering International. Auch im Gesundheitssektor trug die Aktienauswahl zur relativen Performance bei. Am lukrativsten waren Positionen im Bereich Medizintechnik und -materialien.“

Die Software kennt Schreibregeln, mit deren Hilfe sie Sätze, Paragraphen und Seiten strukturiert, erklärt Kristian Hammond, Informatikprofessor an der Northwestern University und Chefwissenschaftler bei Narrative Science. „Wir wissen, wie man eine Idee vorstellt, wie man Wiederholungen vermeidet und wie man sich kürzer fasst“, sagt er.

Unternehmen können zudem Vorgaben zum Sprachstil und zur Art des Schreibens machen. Bei Marketingtexten können zum Beispiel positive Aspekte betont werden, bei Eingaben an Regulierungsbehörden lässt sich ein hoher Detailliertheitsgrad einstellen.

Ebenso ist die Software in der Lage, eine bestimmte Perspektive einnehmen. Wenn Quill zum Beispiel für ein Publikum schreibt, das wahrscheinlich ein bestimmtes Team unterstützt, kann der Bericht so formuliert sein, dass er bei einer Niederlage etwas Trost spendet.

Technische Details zur Funktionsweise von Quill veröffentlicht Narrative Science nicht. Laut Michael White, Associate Professor an der Ohio State University, unterscheidet sich die Software durch ihre Fähigkeit, aus einer bestimmten Perspektive zu berichten oder einen Spannungsbogen anzulegen, aber deutlich von früheren Angeboten dieser Art.

An Software für die so genannte „natürliche Sprachgenerierung“ wird seit vielen Jahren geforscht, klares kommerzielles Potenzial aber zeigt sie laut White erst seit kurzem. „Es gibt ein zunehmendes Bewusstsein dafür, dass Massen an Daten und Visualisierungen nicht wirklich nützlich sind, wenn sie nicht erklärt und relevant gemacht werden“, sagt er. „Ich würde sagen, die Zeit ist jetzt endlich reif für einen kommerziellen Erfolg mit natürlicher Sprachgenerierung.“

Weitere Anbieter in diesem Bereich sind zum Beispiel Arria, ein Spin-Off der University of Aberdeeen in Schottland, oder OnlyBoth, gegründet im vergangenen Jahr. OnlyBoth will seine erste Schreibsoftware später in diesem Jahr herausbringen.

Bislang konzentrieren sich all diese Anbieter auf Dienstleistungen für Unternehmen. Hammond aber sieht schon den nächsten Schritt: Wenn immer mehr Autos, Gesundheitstechnik und Hausgeräte internetfähig werden, könnten einfache Grafiken und Symbole zur Kommunikation mit Menschen bald nicht mehr ausreichen. „Die meisten Haushalte werden nicht in der Lage sein, ihre Thermostaten und Autos und andere Daten mittels Datenwissenschaft verständlich zu machen“, sagt er. „Diese Technologie wird irgendwann die erklärende Stimme von allem sein, was Daten hat.“

(sma)