Sexismus in der Spieleszene: Streit über Gamergate in der Wikipedia

Ein internes Disziplinarverfahren der Wikipedia-Community sorgt für heftigen Streit darüber, wie sich die Enzyklopädie in der sogenannten Gamergate-Kontroverse um Sexismus in der Spieleszene verhalten soll.

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Streit über Gamergate in der Wikipedia

(Bild: Tastatur: KateCC BY 2.0 /dpa)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
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Seit Monaten tobt der Streit um die Gamergate-Bewegung, die sich gegen vermeintlich unfaire Sexismus-Vorwürfe an die Spieleszene richtet und immer wieder in Belästigungen, Drohungen und üblen Beleidigungen gegen Frauen in der Spiele-Industrie entlädt. Nachdem das Medieninteresse aber inzwischen abgeflaut war, tobte der Streit in der Wikipedia unvermindert weiter und sorgte so für ein monatelanges Schiedsverfahren, das inzwischen 150 Nutzer betrifft.

Noch vor der endgültigen Entscheidung schlagen die Wellen hoch. Der Software-Entwickler und Blogger Mark Bernstein attackierte das Schiedskomitee in einem emotionalen Artikel, weil es in seiner vorläufigen Entscheidung Partei ergriffen habe. "Die Gamergate-Anhänger können nicht nur den Artikel über sich umschreiben, Feministen werden auch en bloc von der Wikipedia verbannt", schrieb Bernstein. Zwar musste er diese Darstellung korrigieren, da die betroffenen Nutzer weder von der Wikipedia ganz verbannt werden, noch sich selbst als Feministen sehen. Er bleibt jedoch dabei, dass sich das Wikipedia-Schiedskomitee instrumentalisieren ließ. "Wikipedia-Administratoren sind zu sehr damit beschäftigt, um Regelverletzungen zu ahnden, die wirklichen Schaden anrichten, aber sie haben reichlich Zeit sich an ihren Kritikern abzuarbeiten", schreibt Bernstein. Bernsteins eigener Wikipedia-Account wurde im Zuge der Debatte für einen Monat gesperrt.

Nachdem die Vorwürfe von verschiedenen Medien und Bloggern aufgegriffen wurden, sah sich das Schiedskomitee zu einer Stellungnahme genötigt: "Das Komitee hat bei Autoren auf verschiedenen Seiten der Debatte Verstöße gegen die Community-Richtlinien festgestellt", heißt es dort. Die Maßnahmen seien nicht einseitig gegen die vermeintlich feministische Seite gerichtet; es seien Nutzer verschiedener Lager betroffen. Insgesamt habe das Komitee für elf Nutzer einen "Topic Ban" empfohlen, der es ihnen verbietet, sich an der Bearbeitung der Artikel rund um Gamergate zu beteiligen. Rund 40 Nutzer sind oder sollen zusätzlich verwarnt werden, 100 weitere wurden ermahnt. Der finale Schiedsspruch wird zum Wochenende erwartet.

Die Verstöße bestehen nicht nur aus Beleidigungen und Edit-Wars, wie sie im Streit um kontroverse Wikipedia-Inhalte alltäglich sind. Offenbar sollte auch die Strategie des "Doxxing" gegen Wikipedia-Autoren eingesetzt werden, die als Gegner von "Gamergate" identifiziert worden waren. So gab es mehrere Aufrufe, möglichst viele belastende oder private Details über eine Gruppe von fünf in diesem Bereich besonders engagierte Wikipedia-Autoren zu sammeln. Die Daten wurden dann von anonymen Nutzern in die Wikipedia eingebracht oder für Drohungen genutzt. Auch Administratoren, die vermittelnd eingreifen wollten, wurden zum Ziel von Attacken.

Gegenüber heise online erklärt nun Luke Faraone, der dem Schiedskomitee seit 2013 angehört, dass sich dessen Mitglieder der Attacken bewusst seien und sie in ihre Entscheidungen berücksichtigt hätten. Die Schwarz-Weiß-Darstellung sei jedoch falsch: "Es sind mehrere Gruppierungen von außerhalb der Wikipedia beteiligt. Wir haben sie nicht in 'Pro' und 'Anti' Gamergate unterteilt, sondern uns angesehen, wie sich die Nutzer in Wikipedia verhalten haben."

Einige betroffene Nutzer geben zu, über die Stränge geschlagen zu haben, erhofften sich aber angesichts der Umstände mehr Rückdeckung: "Wir haben das Richtige getan, auch wenn wir manchmal die falschen Worte gebraucht und einen falschen Ton angeschlagen haben. Trotzdem bekommen wir die gleiche Behandlung wie Wegwerf-Accounts", beklagt sich einer der betroffenen Autoren. Faraone widerspricht jedoch der These, dass die Artikel rund um Gamergate nun für eine einseitige Übernahme offen stünden: "Viele Admins sind bereits seit Monaten sehr aktiv und haben Attacken leise und effizient abgewehrt", erklärt er gegenüber heise online. Weitere Autoren seien bereit, die Neutralität der Artikel zu wahren und Verleumdungen zu löschen.

Wikipedia gerät bei kontroversen Themen immer wieder zwischen die Fronten – trotz oder wegen des obersten Grundsatzes, in den Artikeln einen neutralen Standpunkt einzunehmen. So schlug der Chef der russischen Medienaufsicht Anfang der Woche angeblich scherzhaft vor, die Online-Enzyklopädie im russischen Internet zu zensieren. Im November hatte die russische Nationalbibliothek in Moskau und die präsidiale Bibliothek in Sankt Petersburg angekündigt, eine Wikipedia-Alternative aufzubauen. (mho)