TR35: Zellen an der Angel

Christian Stemberger fischt gezielt Immunzellen aus Spenderblut. Mit ihnen will er Infektionskrankheiten, Autoimmunleiden – und sogar Krebs behandeln.

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Von
  • Joseph Scheppach

Christian Stemberger fischt gezielt Immunzellen aus Spenderblut. Mit ihnen will er Infektionskrankheiten, Autoimmunleiden – und sogar Krebs behandeln.

Von künstlichen Organen bis zu betankbaren Akkus: Zum zweiten Mal kürt Technology Review die innovativsten Köpfe unter 35. Die 10 Gewinner zeigen, was die Zukunft bringen wird.

Christian Stemberger angelt leidenschaftlich gern – am liebsten in der Isar. Der Holzkirchner weiß: Wer bestimmten Fischarten nachstellen will, muss den richtigen Haken wählen. Vor dieser Herausforderung steht Stemberger nicht nur bei seinem Hobby, sondern auch bei seinen Forschungen, mit denen er jüngst die Fachwelt verblüffte – und große Hoffnungen im Kampf gegen Krankheiten weckt.

Der Molekularbiologe fängt zwar keine Fische bei der Göttinger Biotech-Schmiede Stage Cell Therapeutics, einer Ausgründung der Technischen Universität München. Doch geht er im Labor nicht viel anders vor, als stünde er an einem Gewässer. Stembergers Beute sind sogenannte T-Zellen, ein wichtiger Bestandteil des Abwehrsystems. Sie will Stemberger Patienten verabreichen, die beispielsweise nach einer Krebstherapie immungeschwächt sind.

Bei ihnen dauert es bis zu einem Jahr, ehe die körpereigenen Abwehrkräfte wieder voll aufgebaut sind. In dieser Zeit können sogar simple Viren lebensgefährlich sein; etwa Herpesviren wie das Zytomegalievirus (CMV). Sie rufen schwere Schädigungen der Lunge oder der Leber hervor. "Mit einer schnellen Eingreiftruppe lassen sich solche Erkrankungen verhindern", sagt Stemberger. "Das dürfte etwa die Behandlung nach einer Chemotherapie revolutionieren."

Die Schwierigkeit: Aufgrund von Abstoßungsreaktionen sollten die T-Zellen des Spenders genetisch gut zum Empfänger passen. Zudem sind für jeden Erregertyp spezielle T-Zellen nötig. Stemberger brauchte also einen Haken, der im Spenderblut genau die passenden findet. Gleichzeitig darf der Haken die empfindlichen Zellen nicht beschädigen. Fünf Jahre dauerte die Suche. Stemberger wusste, dass infizierte Zellen nach Helfern "rufen", indem sie ganz bestimmte Moleküle an der Oberfläche der Zellen präsentieren. "Wie eine Signalflagge", erklärt Stemberger.

Das brachte die Forscher auf eine Idee. Warum diese Signalflaggen nicht als Angelhaken nutzen? Doch bald stellte sich heraus: Ein künstlicher Haken allein reicht nicht, um eine T-Zelle festzuhalten. Flugs wurde ein Molekül mit mehreren Haken synthetisiert. Aber wieder war die Enttäuschung groß: Es klebte so hartnäckig an der Zelle, dass sie beim Ablösen verletzt und unbrauchbar wurde. Lange grübelte Stemberger, wie das Problem zu lösen sei – bis zu einem Geistesblitz beim Angeln. Bestimmte Haken sind am Köder über eine Sollbruchstelle befestigt, als Schutz vor sehr starken Fischen.

"Ich baute eine Sollbruchstelle in den biotechnologischen Haken ein", sagt der 34-Jährige. Er bricht, wenn Stemberger die Substanz D-Biotin (Vitamin H) hinzugibt. Mittlerweile haben die Forscher über 100 Patienten mit Spender-T-Zellen behandelt, die gezielt gegen das CMV-Virus gerichtet waren. Nach nur wenigen Wochen sank die Anzahl der Viren im Blut.

Stage Cell Therapeutics arbeitet nun daran, die Methode auf den Markt bringen. Stemberger will sie zudem für andere Leiden verfügbar zu machen. Sein Ziel: ein Portfolio verschiedener Haken, um unterschiedliche Infektions- oder Autoimmunerkrankungen zu behandeln. Zudem könnte der Ansatz auch direkt gegen Tumorzellen wirken. Stembergers Angelsaison hat also gerade erst begonnen.

(bsc)