transmediale: Das Smartphone als Folterknecht der Gedankenpolizei

Der Philosoph Byung-Chul Han beschreibt das vernetzte Mobiltelefon als Devotionalienobjekt des digitalen Regimes, das im "Dataismus" die Foltermaschinen George Orwells ersetzt.

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Transmediale: Das Smartphone als Folterknecht der Gedankenpolizei

"Capture All" ist die Klammer um alle Themen auf der transmediale 2015 in Berlin.

(Bild: transmediale.de)

Lesezeit: 5 Min.

Der Berliner Kulturwissenschaftler Byung-Chul Han gilt als neuer Stern am Philosophenhimmel. Am Freitag, den 30. 1., warf er auf der transmediale einen skeptisch-resignativen Blick auf das digitale Zeitalter. Die Informationsgesellschaft hat seiner Ansicht nach eine obszöne Fettleibigkeit erreicht. Der ganze Globus entwickle sich zum rundum überwachten Panoptikum.

"Wir haben jegliche Form von Transzendenz zugunsten von Transparenz aufgegeben", konstatierte der an der Universität der Künste Berlin lehrende Südkoreaner auf dem Kunst- und Medienfestival. Durchschaubarkeit und Offenheit verliehen Dingen zwar Glaubwürdigkeit, führte er aus. Die Akteure und vor allem die Kontrolleure der datengesteuerten Welt blieben selbst aber intransparent. Die entscheidenden Strukturen der Macht seien unsichtbar, sodass diese viel effektiver als früher ausgeübt werden könne.

Das digitale Panoptikum verlangt dem bekennenden "Technikfreak" zufolge keine Folgsamkeit, sondern Abhängigkeit. Wichtigstes Instrument der undurchsichtigen Macht, der Überwachung und Selbstkontrolle ist für ihn das Smartphone. Jede Form der Herrschaft bringe ihr eigenes Devotionalienobjekt mit sich, knüpfte er an die Ausführungen in seinem Essay "Psychopolitik" an. Das Smartphone bezeichnete er in diesem Sinne als modernen Rosenkranz, zumal es ähnlich gut in der Hand liege wie das traditionelle Gebetsutensil.

Das vernetzte Handy ist für ihn aber viel mehr: Es sei auch der mobile Beichtstuhl, der Ersatz der Foltermaschinen der Gedankenpolizei aus George Orwells "1984" und das Lieblingswerkzeug der Anhänger der " Quantified Self"-Bewegung. Diese strebten über die beim Gehen und Stehen erhobenen Daten und Zahlen Selbsterkenntnis an. Dabei entblößten sie sich bereitwillig selbst und seien letztlich gar bereit, ihr Leben zu geben, um Unsterblichkeit zu erlangen in der Form eines transparenten Körpers im Strom von Big Data.

Den völlig durchleuchteten Leib betrachtet Han nicht als Hirngespinst, sondern als Form des Entleerens und Auflösens von Projektionen hinein in die Datenwelt. Die Folge sei, dass die Nutzer immer systemkonformer agierten und nur noch funktionierten. Es handle sich um eine "Weltherrschaft ohne Subjekt": alles sei im digitalen System transparent außer dem System selbst. So sei es möglich, die dataistischen Datendandys komplett zu überwachen, ohne dass diese sich überhaupt beobachtet fühlten.

Die Selbstüberwachung ist laut dem Philosophen zum Mittel und Zweck des Unternehmertums geworden. Damit einher gehe eine zunehmende Selbstausbeutung im digitalen Kapitalismus und die Möglichkeit, durch Dritte ausgebeutet zu werden. Strukturell unterscheide sich diese Gesellschaft mit ihren neuen Formen der Leibeigenschaft kaum vom Feudalismus des Mittelsalters. Die modernen Lehnsherren seien Internetkonzerne wie Facebook und Google, die kostenlos virtuelles Land zur Verfügung stellten, das die Nutzer wie verrückt bearbeiteten. Die Ernte in Form der Ausbeutung der Kommunikation führen dabei die Plattformanbieter ein und teilten sie anschließend noch mit Geheimdiensten.

Protest dagegen gebe es nicht, da letztlich die Freiheit der Nutzer ausgebeutet werde. Das "Like" etwa diene als "Akt der Verneigung in der Kirche des digitalen Zeitalters, in Facebook". Big Data werde so zur Kontrolle des menschlichen Verhaltens eingesetzt. Eigene Entscheidungen kämen einem frei vor, auch wenn sie von den Systemen total manipuliert seien.

Zu ganz ähnlichen Überlegungen war zuvor mit Peter Sunde einer der Gründer von "The Pirate Bay " gekommen. "Der Versuch, den Kurs des Lebens zu ändern, ist vergeblich", erklärte der Schwede bei einem seiner ersten öffentlichen Auftritte nach dem Absitzen einer mehrmonatigen Haftstrafe wegen des Betriebs der Torrent-Seite. Er und viele andere hätten es im Kampf für eine bessere Welt mit mehr Umwelt- und Grundrechtsschutz mit Aktivismus probiert, "aber der Kapitalismus hat gewonnen".

Das diesjährige transmediale-Motto "Capture all" hätten sich die NSA und viele korrupte Konzerninhaber längst zu eigen gemacht, unterstrich Sunde. Am besten wäre es in diesem Umfeld, gar nicht mitzuspielen und überhaupt keine persönlichen Daten abzugeben. Dies könne aber kaum jemand durchhalten. Ganz aufgegeben hat der desillusionierte Freiheitskämpfer aber offenbar noch nicht. Wenn man doch spielen müsse, befand er zum Schluss, sei es entscheidend, "zumindest die Regeln zu ändern".

Das noch bis Sonntag, den 1. Februar dauernde Szenetreffen will nach den Worten seines Leiters Kristoffer Gansing mehr Licht ins Dunkel des Datendickichts bringen und die unsichtbare Flut an Bits und Bytes sichtbar machen. "Was stellen die Algorithmen mit Big Data an und wie lassen sich solche Prozesse mitgestalten? " lautet eine der Kernfragen. Als künstlerische Installation ist vor Ort etwa das Datenorakel "Stakhanov " von Oriana Persico und Salvatore Iaconesi zu bewundern. Es versucht vorherzusagen, was Nutzer demnächst machen. Dazu sucht ein Algorithmus etwa in sozialen Netzwerken nach Mustern, aus denen sie Vorhersagen ableiten können [-] zum Beispiel den wahrscheinlichsten Zeitpunkt fürs nächste Jogging. Ein atavistisch erscheinender Drucker spuckt dazu unentwegt entsprechend aufbereitete Informationen über mit ihm verbundene Personen aus. (it)