Störung im System

Ungerecht, unflexibel und schädlich für die Energiewende – die Netzgebühren haben paradoxe Folgen.

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Von
  • Eva Augsten

Ungerecht, unflexibel und schädlich für die Energiewende – die Netzgebühren haben paradoxe Folgen.

Auf den ersten Blick ist alles noch simpel und einleuchtend: Wenn Sonne und Wind den Markt mit billigem Strom überschwemmen, ist es an der Zeit, flexible Großverbraucher anzuwerfen, etwa um Batterien zu laden oder Druckluft, Wärme oder Kälte auf Vorrat zu produzieren.

Erst auf den zweiten Blick offenbart sich einer von vielen verborgenen Fallstricken der Energiewende: Wenn ein Betrieb seinen Stromverbrauch zeitweise gezielt erhöht, steigt auch seine Lastspitze. Und von der Jahreshöchstlast, die ein Großverbraucher aus dem Netz bezieht, hängt maßgeblich die Gebühr ab, die er für seinen Netzanschluss zahlen muss. Das gilt selbst dann, wenn das Netz zu diesem Zeitpunkt gar nicht ausgelastet ist.

So wird zwar der Strom an sich billiger, aber im Gegenzug steigt die Netzgebühr. "Ein volkswirtschaftlich sinnvolles Verhalten wird so für den Einzelnen in vielen Fällen wirtschaftlich fraglich", sagt Jan Aengenvoort, Pressesprecher der Next Kraftwerke GmbH, die unter anderem den Stromeinkauf für ihre Kunden optimiert. Die Netzentgelte stehen so einer effizienten Energiewende im Weg.

Die Bundesregierung will deshalb noch 2015 die Netzentgeltverordnung anpassen. Einen Vorschlag hat der Strommarkt-Regulierungsexperte Andreas Jahn vom Regulatory Assistance Project (RAP) im Auftrag des Think-Tanks Agora Energiewende entwickelt. "Mit einer zeitlichen Staffelung der Netzentgelte, welche die zu erwartende Netzauslastung je nach Tages- und Jahreszeit widerspiegelt, könnte man den Flexibilitätsanforderungen im System gerecht werden", sagt er.

Das heißt: Hohe Gebühren bei hoher Netzauslastung, niedrige Gebühren bei geringer Netzauslastung. So würde sich aus Strompreis und Netzentgelt ein Preis zusammensetzen, der sowohl Stromangebot als auch Netzsituation wiedergibt. Lastspitzen zu Zeiten besonders niedriger Strompreise sollen zudem gar nicht in die Entgelte eingehen.

Auch regional setzen die Netzentgelte derzeit Anreize für eine wenig wünschenswerte Entwicklung. Das kommt zu einem Großteil ausgerechnet daher, dass in ländlichen Gegenden im Norden und Osten Deutschlands so viele Wind- und Solarparks ihren Strom einspeisen. Die Kosten für deren Anschluss tragen zunächst die lokalen Netzbetreiber, die sie in der Region nur auf wenige Kunden verteilen können. So kommt es, dass für Stromverbraucher im Nordosten die Brutto-Netzentgelte 2014 teils über 10 Cent pro Kilowattstunde lagen, in Bremen und im Ruhrgebiet etwa bei der Hälfte.

Politiker und Netzbetreiber in Ostdeutschland kritisieren das schon seit Jahren. "Gerade in strukturschwachen Regionen sind die Netzentgelte am höchsten", monierte etwa Ralph Lenkert, Bundestagsabgeordneter der Linken aus Jena, in einer Parlamentsdebatte im November. Große Stromverbraucher in direkter Nachbarschaft der Windparks anzusiedeln, könnte die Kosten für den Netzausbau senken. "Mit den derzeitigen Netzentgelten setzen wir aber genau die entgegengesetzten Anreize – und die werden immer stärker. Im Extremfall könnte es dazu kommen, dass im Osten auf dem Land die Netze kaum mehr bezahlbar sind", sagt Regulierungsexperte Andreas Jahn.

Bundesweit einheitliche Netzentgelte würden das ändern. Doch ob die Novelle in diese Richtung gehen wird, ist offen – zumal der Bundesrat zustimmen muss und dort die Flächenländer im Osten zusammen mit Schleswig-Holstein lediglich 19 von 69 Stimmen haben. (bsc)