Statistiker beklagen Fakten-Resistenz

Eine heutige Gemeinschaftsveranstaltung im deutschen Expo-Pavillon präsentierte gegensätzliche Vorstellungen über den richtigen Weg zur Wissensgesellschaft.

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  • Dr. Hans-Peter SchĂĽler

Eine heutige Gemeinschaftsveranstaltung im deutschen Expo-Pavillon über Erwartungen an die Informationsinfrastruktur des 21. Jahrhunderts präsentierte gegensätzliche Vorstellungen über den richtigen Weg zur Wissensgesellschaft. Die Organisatoren der Veranstaltung – die Expo-Beteiligungsgesellschaft der Deutschen Wirtschaft, das Statistische Bundesamt und der Bundesverband der deutschen Industrie – beschäftigten sich bei diesem Thema aber weniger mit der Wissensgesellschaft als hauptsächlich mit den Aufgaben und Erfolgen der mit der Faktensammlung und Statistikerstellung beauftragten Bundes- und Landesbehörden.

Dr. Ludolf von Wartenberg, der geladene Sprecher des BDI, betonte die Auskunftsbereitschaft der im Verband repräsentierten Kapitalgesellschaften und forderte gleichzeitig ein größeres Informationsangebot – auch auf Basis einer neuen konventionellen Volkszählung. Regierungsvertreter wie der Ministerialdirektor Horst Claßen wollten davon jedoch nichts wissen. Selbst bei der Verabschiedung neuer Gesetze zur Erstellung von Statistiken komme das "Omnibus"-Prinzip zur Anwendung, das neue Datenerfassungen nur nach der Streichung überholter Erhebungsaufträge vorsieht. Ein Beispiel dafür sei der im Mai beschlossene Entwurf für ein Dienstleistungsstatistikgesetz.

Neben den allgegenwärtigen Sparzwängen muss hauptsächlich der Datenschutz herhalten, um derartige Selbstbeschränkungen zu begründen – auch wenn es um Daten geht, die der Interessent sogar ohne amtliche Mitwirkung selbst aus dem Internet zusammentragen kann. Dann bleibt die Arbeit freilich beim Informations-Bedürftigen hängen, der etwa internationale Umsatzzahlen vor einem Vergleich selbst um die regional unterschiedlichen Bilanzierungsrichtlinien bereinigen muss. Firmen mit kommerziellen Interessen können das leisten, den Privatmann wird diese Aufgabe aber meist überfordern. Johann Hahlen, Präsident des Statistischen Bundesamtes, unterstrich die Schwierigkeit dieser Aufgabe. Seine Behörde hatte derlei schon erfolglos mit einem Softwareprojekt in Angriff genommen und wieder fallen lassen: "Weil es eine eierlegende Wollmilchsau notwendig gemacht hätte." Trotzdem schloss er den Bericht über Aktivitäten des Bundesamtes mit der Bitte ab: "Hören Sie doch auf uns, vermeiden Sie Fakten-Resistenz."

Mangelhafte Datenauswertung bekrittelte auch Professor Norbert Walter, Chef-Volkswirt der Deutschen Bank. Er weiß von einer fortschreitenden Inkompetenz zu berichten, wenn es etwa um die öffentliche Auswertung statistischer Zeitreihen geht. Angesichts unzureichender Voraus-Analysen bei Unternehmensgründungen sprach er gar von Deutschland als einem Land der Wahrnehmungs-Verweigerer. Eine (wohl unbeabsichtigte) Ermutigung zum sparsameren Informationsgebrauch bot dagegen die Gallionsfigur im Seminar-Nebenraum. Hoch über den Köpfen der versammelten Statistik-Experten schwebte wie deren Schutzheiliger der Lügen-Baron von Münchhausen. (hps/ct) / (jk)