Industrie 4.0 zwischen Roboter-Farming und Predictive Maintenance

Industrie 4.0 ist, wenn "Cyber-Physical-Production-Systems" mit mächtigen Datanbanken Einzug in die industrielle Fertigung halten. Auf einer Tagung des Hasso-Plattner-Institutes wurde deutlich, wie unterschiedlich diese Definition ausgelegt werden kann.

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Industrie 4.0 zwischen Roboter-Farming und Predictive Maintenance

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel nahm während der Tagung zusammen mit Hasso Plattner Platz auf einem Sofa

(Bild: heise online / Detlef Borchers)

Lesezeit: 3 Min.
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  • Detlef Borchers

Industrie 4.0 ist, wenn die Dinge einen Namen haben und antworten. In Potsdam kommunizierten Menschen auf dem Industrie-4.0-Forum des Hasso Plattner-Institutes darüber, wie Dinge kommunizieren sollen. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel erklärte dabei Deutschland kurzerhand zum "Ausrüster der Welt" und schwärmte davon, dass 15 Prozent der deutschen Unternehmen bereits selbststeuernde Fertigungsprozesse einsetzten. Doch die versammelten Experten zeichneten nicht unbedingt eine rosige Zukunft.

Auf der Seite der Praktiker zeigte SAP-Vorstandsmitglied Bernd Leukert, wie SAP HANA von den Wasserwerken Los Angeles eingesetzt wird, um dort die Pumpen zu steuern. Dank detaillierter Datenbestände könnten Techniker beim "predictive Maintenance" vorab mit den richtigen Ersatzteilen zu ausfallgefährdeten Pumpen disponiert werden. Die Hamburger Hafengesellschaft habe mit ihrer HANA-Cloud und durch eine engere Vernetzung von Container-Terminals und den LKW-Transporten ihren Umschlag um 14 Prozent erhöhen können, berichtete Leukert. Volker Kreidler von SAP berichtete, dass bei der Turbinenfertigung pro CNC-Maschine in 8 Stunden Laufzeit 40 Gigabyte Daten anfallen an, die für das "analytical Manufacturing" im CNC-HANA-Verbund ausgewertet werden.

Aus der angewandten Forschung berichtete Dieter Steegmüller, wie Daimler zusammen mit dem Robotik-Hersteller Kuka dank Industrie 4.0 daran arbeitet, die starren Grenzen zwischen Mensch und Maschine aufzuheben. Dabei sollen Menschen und Roboter ohne die hinderlichen Schutzzäune in der Fabrik kollaborieren. Roboter "spüren" den Menschen und stoppen ihre Bewegungen, dabei lernen sie direkt von seinen Bewegungsabläufen und kopieren dieses Wissen auf weitere Maschinen. Diese Technik des "Robot Farming" habe das Zeug zu großen Effizienzsteigerungen. "Die Feinfühligkeit des Menschen im Montageprozess wird mit der Wiederholgenauigkeit und Ausdauer von Robotern kombiniert", sagte Steegmüller

Bei Wissenschaftlern kommen derartige Visionen etwas anders an. Jochen Deuse von der TU Dortmund skizzierte die Entwicklung in der Fabrik von der Einführung des Taylorismus/Fordismus zu Beginn des Autobaus über den Volvoismus der 80er bis hin zum modernen Toyota-System mit seinem Qualitätsprinzip. Wenn arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse nicht beachtet würden bestehe die Gefahr, dass der Roboter das Tempo vorgibt und Menschen kapitulierten. Neben der Robotik werde Industrie 4.0 eine besondere Form des Data Mining mit sich bringen, die Deuse als "Knowledge Discovery in Industrial Databases" bezeichnete. Hierdurch werde ein enormer Rationalisierungsschub erzeugt, der vor allem im Bereich der "White-Collar-Jobs" einer Fabrik zu Entlassungen führen werde.

Peter Liggesmeyer, geschäftsführender Leiter des Fraunhofer-Instituts für Experimentelles Software Engineering IESE, analysierte die Versprechungen der Industrie 4.0 aus der Perspektive eines IT-Sicherheitsforschers. Neben der Datensicherheit und der allgemeinen Systemsicherheit müsse der Betriebssicherheit laufender Systeme große Aufmerksamkeit geschenkt werden. Es dürfe nicht angehen, dass gefälschte Ersatzteile Menschen gefährden oder dass der Reifendrucksensor per Funk ausmanövriert werde. Je mehr Rückkoppelungsprozesse in der Industrie eingeführt würden, desto stärker müsse die Datennutzung mit strikten Richtlinien kontrolliert werden. Wegen unausgereifter Sicherheitskonzepte sei die massenindividualisierte Produktion der Industrie 4.0 aus der Sicht eines IT-Forschers eher ein Fernziel. "Derzeit sind wir eigentlich bei Industrie 3.1." (anw)