"In der Gesamtheit nicht realisierbar"

Ulrich Wagner, Vorstand Energie&Verkehr beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, hält das Energiekonzept der Bundesregierung bis 2050 in der Gesamtheit für nicht machbar. Auf dem Technology Review Innovationskongress 2015 erklärte er, warum.

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  • Hans Dorsch

Ulrich Wagner, Vorstand Energie&Verkehr beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, hält das Energiekonzept der Bundesregierung bis 2050 in der Gesamtheit für nicht machbar. Auf dem Technology Review Innovationskongress 2015 erklärte er, warum.

Technology Review: Herr Wagner, das Deutsche Zentrum fĂĽr Luft- und Raumfahrt hat auch einen groĂźen Bereich zur Energieforschung. Sie zweifeln am Konzept der Bundesregierung fĂĽr die Energiewende bis 2050. Warum?

Ulrich Wagner: Das deutsche Energiekonzept besteht aus 28 einzelnen Kapiteln. Da finden sich Ziele wie CO2-Minderung, Minderung des Primärenergiebedarfs, der Endenergie und der Nutzenergie. Die Effizienz von Gebäuden soll steigen, mehr erneuerbare Energien genutzt werden, untergliedert in Biomasse, Solarthermie, Strom aus Kraft-Wärme-Kopplung und so weiter. Jedes einzelne dieser 28 Ziele ist wunderbar und alle kann man so unterschreiben. Aber es ist auch völlig klar, dass sie in der Gesamtheit nicht realisierbar sind. Es wird nicht funktionieren, die Strom- und die Wärmeerzeugung aus der Kraft-Wärme-Kopplung zu verdoppeln, wenn gleichzeitig der Wärmebedarf von Gebäuden um 30 Prozent sinken soll.

Beides ist für sich genommen erfreulich, passt aber nicht zusammen. Wirklich ökonomische, ökologische und aus Nachhaltigkeitssicht optimale Wege zu finden, ist noch nicht passiert. Daher muss es nun darum gehen, Ziele zu priorisieren: Wollen wir den Kohlendioxid-Ausstoß mindern, wollen wir fossile Energierohstoffe sparen, wollen wir es möglichst preiswert haben, oder soll das System möglichst zuverlässig sein? Da gibt es kein Richtig und kein Falsch. Da gibt es Meinungen oder eine gewisse öffentliche Wahrnehmung.

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TR: Wo sehen Sie die Prioritäten?

Wagner: Die Zuverlässigkeit der Stromversorgung steht ganz oben. Das ist eine ganz empfindliche Stelle für Politiker und Bürger. Nach der Zuverlässigkeit kommt die Wirtschaftlichkeit. Das Ganze darf nicht unendlich viel kosten. Dann kommt nach meiner Wahrnehmung erst mal lange nichts. Und dann erst folgen Umweltschutz, Klimaschutz und Nachhaltigkeitsziele. Das sind für den Durchschnittsbürger eher Luxusthemen.

In dieser Reihenfolge arbeitet der normale Bürger das Thema Energie ab, auch wenn es nicht so kommuniziert wird. Wir müssen jetzt in der Wissenschaft und in der Kooperation mit der Wirtschaft technische Lösungen finden, die eine Brücke zwischen diesen drei Kriterien schlagen und viertens auch noch akzeptiert werden.

TR: Das klingt wie eine Absage an die Energiewende...

Wagner: Nein, aber eine wichtige Bedingung ist aus meiner Sicht: Der Nutzer will davon nichts merken. Er hat am Thema Energie kein Interesse, solange er nicht selbst direkt damit konfrontiert ist, etwa durch sinkende beziehungsweise steigende Preise oder Versorgungsengpässe. Und kein Politiker geht zur Einweihung eines hocheffizienten Gaskessels in den Keller und schneidet da ein Band durch. Das Modell "Schalte deine Waschmaschine bitte erst um 10 Uhr Abends ein, weil dann der Strom günstiger ist", machen die Leute zwei Monate mit und dann ist es ihnen zu dumm, weil sie damit vielleicht 15 Cent einsparen.

TR: Und wie geht es trotzdem weiter?

Wagner: Wir werden die Strukturen im Energiesystem nicht einfach linear weiterentwickeln können wie in den letzten Jahrzehnten. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel, was die Stromerzeugung aus Erneuerbaren angeht, was Effizienzsteigerung angeht, weit mehr, als durch lineare Entwicklung möglich wäre. Wir dürfen nicht glauben, dass es mit der vorhandenen Infrastruktur schon geht, wenn wir hier und da was ausbessern. Wir werden für den Ferntransport ganz neue Leitungskapazitäten schaffen müssen, vom Norden in den Süden, vielleicht auch mal umgekehrt, um Photovoltaik-Strom aus dem Süden nach Norden zu transportieren. Wir werden darüber hinaus schlauere Netze brauchen, die die Vielfalt an örtlichen dezentralen Einspeisungen, zusätzlichen Verbräuchen wie Elektrofahrzeugen, örtlich und zeitlich miteinander koordinieren, idealerweise sogar synchronisieren.

Das ist keine sehr einfache Aufgabe, weil viele Informationen auf der energiewirtschaftlichen Seite, der Wettersituation, aber insbesondere auch der Nutzerseite zusammengeführt werden müssen, um sich ein Bild zu machen: Wie sieht die Situation der nächsten Stunden aus? Wie wird das Angebot sein, welche Mengen an Verbrauch kann man eventuell schieben oder nachholen, den man vorher schon mal weggedrückt hat? Das sind ganz neue Herausforderungen.

TR: Das aber geht nicht ohne den Nutzer. Welchen Mehrwert hat er?

Wagner: Bürger könnte etwa von exklusiven NowCasting-Diensten profitieren. Sie sagen das Wetter der nächsten Stunden voraus, primär, um die schwankende Erzeugung von Wind und Sonne planen zu können. Aber natürlich könnte die Prognose auch andere Nutzer interessieren. Noch konsequenter, glaube ich, handelt der Kunde, wenn man ihm eine Energiekostenminderung verspricht von 20 oder 25 Prozent. Dann wird er sehr flexibel und aufgeschlossener bezüglich solcher Maßnahmen.

TR: Was für die Energieversorger jedoch kein gutes Geschäft ist.

Wagner: Der Trend wird in Richtung Dienstleistung gehen müssen. Das Thema ist also nicht mehr nur Strom, sondern beispielsweise das Gebäude als Ganzes, das Smart Building. Ein wichtiges Produkt der IT und der Energieversorger wäre, wenn Strom und Wärme aus einer Hand angeboten wird. Es nützt nichts, wenn ich den Stromverbrauch nach allen Regeln der Kunst minimiere, aber mein Wohnzimmerfenster 24 Stunden lang gekippt ist. Da geht das Fünfzigfache dessen raus, was ich gerade beim Strom gespart habe. Da muss es eine Steuerung geben, die meldet: "Achtung, das Fenster ist offen, das bedeutet soundsoviel Energieverluste" und im Hintergrund Optimierungsmaßnahmen durchführt.

TR: Wieviel Privatsphäre bleibt dann noch im Smart Building?

Wagner: Das ist ein echtes Dilemma. Ein Gebäude für sich zu optimieren ist keine Schwierigkeit. Da bleiben die Daten im Haus. Der Nutzer hat einen guten Überblick. In dem Moment jedoch, wo ein System aus tausenden von Objekten zu optimieren ist, verlassen die Daten das Haus und fließen in eine große Datenbank oder ein Informationssystem. Das ist mehr eine rechtliche als eine technische Frage. Technisch kann man sehr viel machen, wenn man die Verbrauchskurve genau verorten und vorhersagen kann. Je stärker die Daten jedoch anonymisiert sind, umso geringer ist auch ihr möglicher Nutzen. Darüber wird es noch viel Diskussionen geben müssen. (bsc)