Domain Pulse: Experten sehen neue Top Level Domains an der Grenze zur Irrelevanz

Nach dem Hype um die Erweiterung des Namensraums um hunderte neue TLDs von .paris, bis .sucks, kommt jetzt die Ernüchterung. Auf der Domain Pulse Konferenz in Berlin räumten selbst die Optimisten ein, dass ihnen wohl noch ein Marathon bevorsteht.

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Domain Pulse: Experten sehen neue Top Leven Domains an der Grenze zur Irrelevanz

(Bild: domainpulse.de)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Monika Ermert

Die Bilanz zu den neuen generischen Top Level Domains (gTLD) fiel nüchtern aus auf der Domain Pulse, dem alljährlichen Treffen der der deutsch-sprachigen Länderadressregistries Denic, NicAT und Switch, am heutigen Donnerstag in Berlin. An der "Grenze zur Irrelevanz" verorteten dort Experten die mit viel Aufwand eingeführten neuen gTLD. Ein Jahr nach der Einführung schaffen es die "Neuen" gerade mal auf 4,1 Millionen registrierte Domains. Unter den klassischen generischen TLDs sind über 151 Millionen registriert. Mit einem "Marathon" wollen Anbieter wie .hamburg (21.000 Registrierungen) und .bio (8000 Registrierungen) aber doch noch wachsen.

Nach "zehn Jahren Familienplanung" und anschließender "Zangengeburt" waren im vergangenen Jahr endlich die neuen Top Level Domains erhältlich, resümierte der Leiter des Bereichs Names and Numbers beim Verband eco, Thomas Rickert. Er präsentierte eine lange Liste von Fehleinschätzungen, die trotz der langen Vorbereitungszeit noch ins Zulassungsverfahren der privaten Netzverwaltung Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) eingebaut wurden und heute für manche "Kinderkrankheit" mitverantwortlich sind.

So wurden jedem neuen Bewerber aufwändige technische Vorabtests auferlegt, obwohl doch alle auf wenige große TLD-Backbone-Betreiber zurückgreifen. Beim Markenschutz habe man sich mit dem Trademark Clearing House vergallopiert, dessen Anmeldungen in vielen Ländern viel zu kostspielig und kein effektiver Schutz seien.

Vor allem aber wurden noch lange nach Eröffnung des Zulassungsverfahren Spielregeln nachgeschoben und bereits beantragte Namen aus dem Pool herausgenommen, etwa weil die ICANN Kollisionen mit in privaten Netzen genutzten Domains ausschließen wollte. Die Regierungen forderten zusätzliche Selbstverpflichtungen im Verbraucherschutzinteresse. Und das Hauen und Stechen um ein kleines Stück vom ohnehin schon kleinen Kuchen hat gerade erst begonnen. .com-Riese VeriSign klagt so aktuell wegen Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht gegen den Neuling XYZ.com, die laut eco-Statistik aktuell erfolgreichste Neugründung. Vom Hype sei nicht viel übrig geblieben, meinte Rickert.

Christian Müller, CEO der Strato-Tochter Cronon AG, meinte, ursprünglich habe er befürchtet, der Domainmarkt werde durch die neue Unübersichtlichkeit beschädigt, weil Nutzer Domains nicht mehr erraten könnten. "Jetzt haben wir so wenig Anmeldungen, dass ich gar nicht abschätzen kann, ob die Prognose zutrifft." Für die Registrare ergebe die Einführung von 500 neuen TLDs mit 500 Schnittstellen und verschiedenen Policies wenig Sinn, wenn am Ende 20 Anmeldungen pro Monat dabei heraussprängen. Nach dem von Cronon selbst gesetzten Benchmark von 300 Anmeldungen pro Monat für eine neue TLD seien alle 517 tot.

Er sei auch nicht überzeugt, dass sich daran noch etwas ändern werde, sagte Müller auf den Hinweis des Registrarkollegen Alexander Siffrin von Keysystems, dass der Markt fünf bis zehn Jahre brauchen werde.

Viele interessante und daher umstrittene Domains seien noch nicht am Start, meinten die Optimisten. Marktführer wie Google, die sich einen ganzen Sack neuer TLDs gekauft haben, hätten noch nichts damit gemacht, genau so wenig wie die großen Markeninhaber. Von all dem erwarten sich auch die Anbieter von Nischen-TLDs durchaus noch einen Kick. Das Wachstum passiere einfach langsamer, sagte Godefroy Jordan vom .bio-Betreiber StartingDot. "Es ist mehr ein Marathon als ein Sprint." Darüber, wozu eine eigene hamburg-Domain samt eigenen Mailserver gut sein könne, sei beim normalen Internetnutzer noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten, bestätigte Oliver Süme, Geschäftsführer der .hamburg Top-Level-Domain GmbH. Bislang habe die Domainbranche bequem davon gelebt, dass die Kunden wussten, was eine Domain ist.

Die deutschen Städte-TLDs, vor allem .berlin, geben sich dabei nach wie vor zufrieden. .berlin etwa liegt laut Rickert immerhin auf dem 4. Platz aller bisherigen Neueinführungen. Auch wenn nicht alle neuen TLDs überlebten, grundsätzlich blieben die neuen TLDs notwendig, gerade für lokale Communities oder TLDs in anderen Schriften. Derzeit hätten ein Prozent der Nutzer weltweit eine eigene Domain. "Es wird langfristig aufwärts gehen. Dies hier ist nur der Anfang."

[Update 27.02.2015 – 8:45 Uhr] Die Anzahl der Registrierungen bei .hamburg wurde auf 21.000 korrigiert. (anw)