Vorratsdatenspeicherung: Brüssel versetzt die große Koalition

Die EU-Kommission plant keine neue Initiative zum Protokollieren von Nutzerspuren, hat Martin Selmayr, Kabinettchef von Präsident Jean-Claude Juncker, betont. Schwarz-Rot ist damit auf sich selbst gestellt.

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(Bild: dpa, Christian Charisius/Archiv)

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Die große Koalition kann im Dauerstreit um die Vorratsdatenspeicherung nicht auf Schützenhilfe aus Brüssel hoffen. Mit einer EU-Gesetzesinitiative sei nicht zu rechnen, unterstrich Martin Selmayr, Kabinettchef des Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, am Montag. Dies habe er auch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) auf Nachfrage bereits am 2. März telefonisch mitgeteilt. Jeder Mitgliedstaat habe allerdings die Möglichkeit, nationale Regelungen zu erlassen.

Das Thema war übers Wochenende neu hochgekocht. Ein Magazinbericht hatte einen Kompromiss zwischen Maas und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in der Frage des verdachtsunabhängigen Protokollierens von Nutzerspuren nach Terrorwarnungen in mehreren deutschen Städten und den jüngsten Anschlägen in Paris und Kopenhagen angedeutet. Es hieß, die beiden Politiker müssten sich nur noch über Details einer deutschen Regelung einigen.

Maas hatte sich in der letzten Zeit wiederholt gegen eine Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen, nachdem das Bundesverfassungsgericht eine deutsche Gesetzesklausel dazu und der Europäische Gerichthof eine EU-Richtlinie für nichtig erklärt hatten. Maaß ließ durchblicken, dass das Instrument seiner Ansicht nach einen ungerechtfertigten Grundrechtseingriff darstelle und sich mit den hohen Schutzanforderungen aus Karlsruhe und Luxemburg kaum mehr in Stellung bringen lasse.

Am Sonntagnachmittag dementierte Maas, dass er sich mit de Maizière auf eine Linie verständigt habe, nachdem sich das Justizministerium zunächst nicht zum Verlauf der Gespräche äußern wollte. Er rede seit mehr als einem Jahr mit seinem Kabinettskollegen über die Probleme des Sammelns und Speicherns von Telefon- und Internetdaten, sagte der Saarländer der "Süddeutschen Zeitung". Dabei habe sich aber "nichts Neues" ergeben.

Maas sprach weiter von seinem Bemühen, von der EU-Kommission eine "belastbare Aussage zu erhalten, ob sie eine neue Richtlinie vorlegt". Erst wenn eine entsprechende Auskunft vorliege, "werden wir entscheiden, wie wir damit umgehen". Selmayr zufolge wusste der Justizminister zu diesem Zeitpunkt aber bereits, dass aus Brüssel keine neuen Vorgaben zu erwarten sind. Dies hatte eine Kommissionssprecherin auch schon im Januar gegenüber heise online verdeutlicht.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat in den vergangenen Wochen den Druck auf die SPD erhöht, in der sich seit Jahren hinziehenden Auseinandersetzung einzulenken. Der Rechtsexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner, mag von einem eigenen Vorstoß von Schwarz-Rot aber derzeit nichts wissen. Das Einführen einer Vorratsdatenspeicherung ohne EU-Leitlinien wäre nicht vom Koalitionsvertrag gedeckt, erklärte der Sprecher gegenüber der "taz". Eine so grundlegende Frage könne auch nicht ohne Rückkoppelung mit der Basis entschieden werden. Über einschlägige Pläne "müsste zumindest der SPD-Parteikonvent im Juni beraten".

Die Opposition ist nach wie vor entschieden gegen die Vorratsdatenspeicherung. Katrin Göring-Eckardt, Chefin der Bundestagsfraktion der Grünen, betonte gegenüber der "Welt": "Terrorgefahr geht von einigen wenigen Radikalisierten aus. Die gilt es zu überwachen, nicht alle Menschen unter Generalverdacht zu stellen." Jan Korte, Vizechef der Linken, konstatierte im "Kölner Stadt-Anzeiger", dass die Maßnahme "mit den Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaats nicht zu vereinbaren" sei. Für die Verbrecherjagd brauche die Polizei kein "Monster-Instrument zum Erstellen von Persönlichkeits- und Bewegungsprofilen aller Bürger", schimpfte FDP-Generalsekretärin Nicola Beer. (axk)