NSA-Skandal: Wikimedia verklagt US-Geheimdienst

Vor Gericht will die US-Stiftung hinter Wikipedia das Ende der weitgehenden Internetüberwachungsprogramme durch die NSA erreichen.

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NSA-Skandal: Wikimedia verklagt US-Geheimdienst
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Torsten Kleinz

Wikimedia-Gründer Jimmy Wales und die derzeitige Geschäftsführerin der US-Stiftung Lila Tretikov haben am Dienstag in einem Gastkommentar in der New York Times eine Klage gegen die NSA angekündigt. Unter der Überschrift "Hört auf, Wikipedia-Nutzern nachzuspionieren" erklären sie, dass die Geheimdienste mit ihren Spionageprogrammen die Rechte der Wikipedia-Nutzer routinemäßig verletzen. So befassten sich die Autoren der Online-Enzyklopädie mit so brisanten Themen wie der chinesischen Demokratiebewegung oder den Rechten von Homosexuellen in Uganda – und müssten deshalb Verfolgung in repressiven Regimen befürchten. "Diese Freiwilligen sollten ihre Arbeit tun können ohne dass die US-Regierung erfasst, was sie lesen und schreiben", fordern Wales und Tretikov.

NSA-Skandal

Die NSA, der britische GCHQ und andere westliche Geheimdienste greifen in großem Umfang internationale Kommunikation ab, spionieren Unternehmen sowie staatliche Stellen aus und verpflichten Dienstleister im Geheimen zur Kooperation. Einzelheiten dazu hat Edward Snowden enthüllt.

Konkret wirft die Wikimedia Foundation der NSA vor, ihre Befugnisse aus dem Foreign Intelligence Surveillance Act überschritten zu haben, indem Daten direkt an den Backbones der Provider abgeschöpft und nach verschiedensten Kriterien ausgefiltert würden. So war in einem von Edward Snowden weitergegebenen NSA-Dokument die Rede davon, dass unter anderem Wikipedia ein potenzielles Ziel für die weltweite Internetüberwachung sei.

Bei einem vorhergehenden Prozess hatte der Oberste Gerichtshof der USA eine Klage abgelehnt, weil Bürgerrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch nicht belegen konnten, dass sie von der Überwachung betroffen waren. Das geleakte NSA-Dokument soll der US- Stiftung vor Gericht den Status eines klageberechtigten Betroffenen bringen.

Allerdings ist Wikipedia in dem Dokument nur als Beispiel für Dienste aufgeführt, die das Hyptertext-Protokoll HTTP nutzen – inwieweit der Traffic der Enzyklopädie tatsächlich untersucht wird, bleibt offen. Konkret äußern Wales und Tretikov die Sorge, dass Daten über Wikipedia-Aktivitäten von Ägyptern an den dortigen Geheimdienst zurückfließen: "Die bis heute andauernde Zusammenarbeit zwischen amerikanischen und ägyptischen Geheimdiensten ist gut dokumentiert", heißt es in dem Artikel.

Wikimedia wird in dem Prozess von der American Civil Liberties Union (ACLU) vertreten. Mehrere andere Bürgerrechtsorganisationen haben sich der Klage angeschlossen, unter anderem auch die Beschwerdeführer der 2013 gescheiterten Klage. Die komplette Klageschrift will die Wikimedia Foundation in Kürze in ihrem Blog veröffentlichen.

Der eigene Umgang der Wikipedia mit der Privatsphäre ihrer Autoren ist außergewöhnlich. Mitarbeiter müssen keinen Account anlegen. Wer es dennoch tut, muss nicht einmal eine E-Mail-Adresse angeben. Auf der anderen Seite wird bei anonymen wie angemeldeten Nutzern jede Aktivität permanent gespeichert und steht größtenteils öffentlich für zahlreiche Auswertungstools zur Verfügung. Viele etablierte Wikipedia- Autoren ziehen es vor, nur unter Pseudonym zu arbeiten und ihre bürgerliche Identität zu verheimlichen – das Outing eines anderen Nutzers ist streng verpönt. Innerhalb der Wikipedia sind die Nutzer jedoch fast gläsern. Mit komplexen Werkzeugen versuchen Wikipedia-Administratoren missbräuchliche Nutzer, die zum Beispiel Schleichwerbung in die Enzyklopädie einpflegen, zu identifizieren und auszuschließen.

Im Zuge der Enthüllungen über die NSA-Überwachung hatte Wikimedia bereits 2013 verschlüsselte HTTPS-Verbindungen zum Standard gemacht. Nutzer der Anonymisierungssoftware Tor können allerdings nur in der Wikipedia schreiben, wenn sie eine Ausnahmegenehmigung beantragen.

[Update 10.03.2015 15:53]:

Die 42seitige Klageschrift und weitere Details wurden inzwischen auf der Webseite der ACLU veröffentlicht: Wikimedia v. NSA: Challenge to Mass Surveillance Under the FISA Amendments Act (mho)