Computer-GAU: Das Silvesterchaos bei der Berliner Feuerwehr

In der Silvesternacht erlebte die Leitstelle der Berliner Feuerwehr einen totalen Ausfall sicherheitsrelevanter Rechner. c't hat die Ereignisse analysiert.

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Von
  • Jürgen Kuri

Der größte anzunehmende Unfall in der Computertechnik ist der Ausfall sicherheitsrelevanter Rechner, ohne dass die vorgesehenen Backup-Systeme zur Rettung einspringen. Bei der Berliner Feuerwehr ist der GAU zum Jahreswechsel 1999/2000 in der Silvesternacht mit dem Zusammenbruch der Notruf-Leitstelle eingetreten. Unglückliche Umstände spielten dabei weniger eine Rolle als blindes Vertrauen und Leichtfertigkeit im Umgang mit informationstechnischen Systemen.

Nach dem Ausfall des gesamten Feuerwehr-Informations-Systems brach die Annahme der Notrufe zusammen. Außerdem wusste die Einsatzleitung nicht mehr, wo in welcher Wache welches Fahrzeug stand. Vielfach rückten gleich mehrere Einheiten aus, die nichts voneinander wussten – an einer Einsatzstelle trafen mehr als 20 Fahrzeuge ein. Andernorts bemühte sich die Polizei, Brände mit Wasserwerfern zu löschen. In einem Fall lag eine Person beim Eintreffen der Helfer schon eine Stunde leblos auf dem Gehweg. Schließlich wurden Löschzüge und Rettungswagen auf Streife geschickt, um nach Notfällen Ausschau zu halten. Einer Katastrophe mit vielen Verletzten wären die amtlichen Helfer in der Silvesternacht nicht gewachsen gewesen.

Ein unabhängiges Gutachten gibt es bisher nicht. Der Berliner Feuerwehrchef erklärte das Silvester-Desaster vor dem Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung des Berliner Abgeordnetenhauses als eine "Verkettung mehrerer unglücklicher Umstände". c't kommt in einer Untersuchung des Zusammenbruchs der Rechnersysteme bei der Berliner Feuerwehr jedoch nach Auswertung interner Untersuchungsberichte und eingehender Analyse der Abläufe bei der Feuerwehr zu einem ganz anderen Schluss.

Die Pannenliste beginnt schon bei der Konzeption und Vorgeschichte. Die Software der Leitstelle ist nie ordnungsgemäß und nachvollziehbar dokumentiert worden; Korrekturen, um ein veraltetes System, das eigentlich schon vor dem Jahreswechsel abgelöst werden sollte, doch noch Jahr-2000-fest zu machen, führten zu ungeahnten Nebenwirkungen; Zuständigkeiten im Bereich der Leitstellentechnik waren entweder nicht klar festgelegt oder nicht konsequent beachtet worden. Der offizielle Bericht an den Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses verharmlost zahlreiche Mängel. Der darin verwendete Begriff "Verkettung unglücklicher Umstände" ist eine Kapitulation vor der Komplexität IT-gestützter Systeme.

Eine detaillierte Analyse und Dokumentation des Ausfalls der Leitstelle bei der Berliner Feuerwehr bringt c't in Ausgabe 13/2000 (ab dem 19. Juni im Handel). (jk)