Cebit

CeBIT-Partnerland China: Die Angst des Zensors vor dem Shitstorm

Filter, scharfe Zensurregeln und ein Heer von Internetaufpassern sollen die 650 Millionen Internetnutzer Chinas disziplinieren. Das funktioniert nicht immer reibungslos.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 72 Kommentare lesen
Internetzensur

(Bild: dpa, Adrian Bradshaw)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
Inhaltsverzeichnis

Zur Jahrestagung des Volkskongresses im März 2015 hatte der chinesische Premierminister Li Keqiang eine schlechte Nachricht: Das Wachstum der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt soll nur noch sieben Prozent betragen – der niedrigste Stand seit 24 Jahren. Die Zeit des großen Booms ist vorbei und damit wohl auch die Aussicht auf mehr Meinungsfreiheit.

Schon lange ist die chinesische Internet-Zensur weit mehr als nur die Blockade westlicher Webseiten. Die chinesische Zensur schreckt auch vor massiven Maßnahmen nicht zurück. So brach im Januar 2014 der chinesische Internetverkehr komplett zusammen. Beobachter gehen davon aus, dass der Grund für die Störung Berichte über Zensur in der chinesischen Führung waren und die Zensoren bei dem Versuch ihre Verbreitung zu unterbinden über das Ziel hinausgeschossen waren.

Wichtiger ist jedoch die interne Kontrolle des Netzes. Im letzten Jahrzehnt hatte Chinas Regierung massiv in den Aufbau einer eigenen Internetwirtschaft investiert. Mit Erfolg: Statt Google gibt es Baidu, statt Twitter Sina Weibo und statt Amazon den Handelskonzern Alibaba. Trotzdem ist die chinesische Netzwirtschaft nicht komplett isoliert. Auch für westliche Firmen ist der Markt hoch interessant, sie können aber meist nur mit chinesischen Kooperationspartnern tätig werden. So waren die Anteile, die Yahoo an dem chinesischen Konzern Alibaba hielt, kurz nach dessen Börsengang mehr wert als die Börsenbewertung von Yahoo selbst.

Neben der Motivation, die Gewinne des Internetgeschäfts im eigenen Land zu halten, hat sich die chinesische Führung weitgehende Mitbestimmung bei den Internetmedien zur Bedingung gemacht. "Das Informationsbüro der Staatspartei ist nicht nur für Propaganda und Zensur zuständig, sondern hat auch regulatorische Funktionen wie die Zuweisung von IP-Adressen und der Registrierung von Domainnamen", beschreibt es die Organisation "Reporter ohne Grenzen" in ihrem aktuellen Bericht "Feinde des Internet".

Sprich: Wer in China Geschäfte machen will, muss Selbstverpflichtungserklärungen unterschreiben, auf seinen Plattformen die Zensurregeln durchzusetzen und Kritiker an die Behörden auszuliefern. Lippenbekenntnisse gelten nicht: Die Unternehmen müssen Aufseher einstellen, die die Einhaltung der Regeln überwachen. Zehntausende dieser internen Zensoren sind in China tätig.

Zusätzlich setzt die chinesische Führung die so genannte "50 Cent Party" ein, ein Heer von Internetüberwachern, die verdächtige Umtriebe melden und gleichzeitig als Sprachrohr der kommunistischen Partei dienen. Der Name dieser Propaganda-Kräfte stammt daher, dass sie für jede Pro-Regierungs-Nachricht
eine kleine Provision erhalten sollen.

Wie viele Internetaufpasser insgesamt in China arbeiten ist unklar – Schätzungen gehen in die Hunderttausende. Sicher ist: Der Kontrollapparat wächst. So berichtete Amnesty Internationals Generalsekretär Salil Shetty im Jahr 2011, dass China massiv Kapazitäten aufbaute, um das Internet mit regierungsfreundlichen Nachrichten zu fluten. 2013 hat die chinesische Führung die Regeln zur Internetzensur stark verschärft.

Die Regierung der Volksrepublik hat sich mit diesen Ressourcen ein für sie vorbehaltenes Recht auf Vergessen eingeräumt. Mit Argusaugen achten die Zensoren auf jeden Anlass, der sich in eine kollektive Unmutsäußerung, einen Protest oder gar einen Aufstand münden konnte. Selbst banale Anlässe reichen, eine weitgehende Zensur auszulösen. So wurde ausgerechnet ein Fernsehauftritt eines Chors der Zensurbehörde zum Fall für die Behörde selbst. Die – insbesondere für westliche Ohren – allzu enthusiastische Hymne auf die eigene Arbeit wurde in den chinesischen sozialen Netzen zu oft verspottet -- und flugs verschwanden die Videos von dem Auftritt aus dem chinesischen Netz.

Mit Hilfe der Online-Zensur schafft das chinesische Regime eine Parallelwelt, in der möglichst alles rosig erscheinen soll. Doch selbst der riesige chinesische Zensurapparat ist damit überfordert, die enormen Online-Aktivitäten der über 650 Millionen Internetnutzer zu kontrollieren. Deshalb wird jeder Inhalt, der hohe Verbreitung findet, unter einen Generalverdacht gestellt. Meinungsäußerungen, die in kleinem Rahmen toleriert werden, werden zur Straftat, wenn sie zu oft zitiert werden. War die Zensurbehörde in der Vergangenheit auch vor drastischen Schritten nicht zurückgeschreckt und hatte Kommunikationsnetze zeitweise komplett deaktiviert, will sie nun im Vorfeld tätig werden, bevor eine Diskussion außer Kontrolle geraten kann.

Jüngstes Opfer dieser Shitstorm-Sperre war der Dokumentarfilm „Under the Dome“, der sich mit der grassierenden Umweltverschmutzung in China auseinandersetzt. Bei den Dreharbeiten hatte sich Filmemacherin Chai Jing um die Kooperation mit den Behörden bemüht und wurde sogar auf einer Konferenz von dem für Umweltschutz zuständigen Minister ausdrücklich gelobt. Doch als der Film in wenigen Tagen über 100 Millionen mal angesehen wurde, zogen die Zensoren den Stecker und ließen den Film auf chinesischen Plattformen löschen, Medien wurden angewiesen jede weitere Erwähnung des Films zu unterlassen.

Nun wird spekuliert, ob die Führer der staatlichen Industrie-Konzerne, die für die Umweltverschmutzung verantwortlich sind, gegen den Film intervenierten. Premierminister Li Keqiang ließ auf einer Pressekonferenz die Frage nach der Zensur des Filmes unbeantwortet: „Wir haben vor, unsere Umweltschutzbemühungen fortzusetzen, bis wir unser Ziel erreichen.“ Die Bemühungen um ein regimetreues Internet scheinen jedoch Priorität zu genießen.

Mehr zum Partnerland China finden Sie in unserer Reihe zur CeBIT 2015:

(axk)