Grüner Polizeikongress: Polizeiarbeit ohne Generalverdacht

Wenn sie die Bürger unter Generalverdacht stellt und Gefahrengebiete absteckt, in denen jeder Aufenthalt verdächtig ist, geht die Polizei davon aus, dass jeder Bürger potenziell Straftaten begeht. Diesen Mechanismus will grüne Polizeiarbeit durchbrechen.

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Grüner Polizeikongress: Polizeiarbeit ohne Generalverdacht
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Von
  • Detlef Borchers

Auf ihrem vierten Polizeikongress in Hamburg haben die Grünen versucht, eine Sicherheitspolitik zu definieren, die ohne den Generalverdacht gegen alle Bürger auskommt – also ohne Vorratsdatenspeicherung aller IP-Adressen oder Gefahrgebiete. BKA-Chef Holger Münch warb für eine moderne Polizeiarbeit, bei der polizeiliche Ermittlungen verlässlich und überprüfbar sind. So würde in der digitalen Welt das Vertrauen der Bürger in die Polizei gestärkt.

Münch (l.) und Albrecht

(Bild: Detlef Borchers / heise online)

Der grüne Polizeikongress entstand im Jahre 2010. Teilnehmer des Europäischen Polizeikongresses in Berlin wollten sich über eine Polizeiarbeit verständigen, die über Sicherheitspolitik und den Kampf gegen den Terrorismus hinausgeht. Die vierte Ausgabe des Kongresses wurde nun unerwartet aktuell durch die Olympiabewerbung der Hansestadt Hamburg. Gleich der erste Redner des Kongresses, Kriminalgeograph Bernd Balina, machte deutlich, wie die Ausweisung von Gefahrengebieten das soziale Gefüge in einer Stadt kippen kann. "Normadressaten" würden dabei unter dem Deckmantel der Prävention unter permanente Bewachung gestellt werden.

Der neue Chef des Bundeskriminalamtes Holger Münch beschäftigte sich mit dem Problem, ob die Polizei angesichts der technischen Herausforderungen noch als kompetente Organisation wahrgenommen werden kann. Unter Verweis auf den erfolgreichen Schlag gegen das Botnet Ramnit betonte Münch die internationale Dimension von Taten in der digitalen Welt als einem immer größer werdenden Heuhaufen, in dem die Suche nach der "Stecknadel" immer schwieriger werde. Hier sei es immer wichtiger, polizeiliche "Cyberfähigkeiten" zu fördern.

Zu ihnen zählte Münch auch die Mindestspeicherfrist für Provider. "Wir wollen ja nicht speichern, wir wollen bloß den Zugriff auf diese Daten haben", erklärte Münch, der sich von der Arbeit anderer Dienste distanzierte: "Die Grundsätze der Polizeiarbeit sind klar von den Methoden der Geheimdienste unterschieden. Die Polizei spioniert nicht, sie darf nicht anlasslos Daten speichern.

Seitens der Grünen erklärte später der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz, wie sehr ihn der ständige Ruf nach der Vorratsdatenspeicherung ärgere. Sie habe inzwischen den Status einer "eierlegenden Wollmilchsau" bekommen, die mit einem Schlag alle möglichen Probleme der Ermittlungsarbeit lösen könne.

Kriminologen und Anwälte beschrieben auf dem Kongress, welche drastischen Auswirkungen es haben kann, als Verdächtiger in der ständig wachsenden "Datei Gewalttäter Sport" geführt zu werden. Die umfasst derzeit rund 15.000 Personen. Betroffene, die Aufenthaltsverboten, ständigen Ausweiskontrollen, aber auch Stadionverboten (derzeit rund 2500 Personen) unterliegen, wird präventiv ein bestimmter Lebensstil untersagt. Dabei werden sie nicht informiert, in diese Datei eingetragen worden zu sein. Sie erfahren allenfalls davon, wenn die Polizei das Stadiongebiet zu einem "gefährlichen Ort" erklärt, an dem anlasslos kontrolliert werden darf.

Der grüne Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht erklärte: "Über Jahre hinweg wurden Hunderte Millionen Euro in immer neue Datensammlungen über größtenteils unverdächtige Personen gesteckt, die dann bei Polizei und Justiz fehlten." Hier müsse die Politik umsteuern und das Geld in die direkte Finanzierung der Polizeiarbeit und nicht die IT-Aufrüstung stecken.

Gegen den Grünen Polizeikongress demonstrierten Autonome, die die Scheiben der Eingangstüren bewarfen. Laut einer Erklärung sollte dagegen protestiert werden, dass grüne Politiker und Politikerinnen mit dem Kongress "den Repressionsapparat recyceln". (anw)