Atomzählerei für einen neuen Kilogramm-Standard

In Braunschweig arbeiten Forscher an der Neudefinition des Kilogramms, um das in Paris aufbewahrte Urkilogramm, einen Zylinder aus Platin-Iridium, abzulösen. Ziel ist es, das Kilogramm auf Basis einer festgelegten Fundamentalkonstanten darzustellen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 209 Kommentare lesen
Atomzählerei für einen neuen Kilogramm-Standard

So sollen die Kilo-Kugeln am Ende aussehen

(Bild: PTB)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • dpa

In einem Kellerraum der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) herrscht rege Vorfreude: "Das ist besser als Weihnachten", sagt Pressesprecher Jens Simon. Seine Augen leuchten durch die Brillengläser. Endlich ist er da – ein hochangereicherter Silizium-28-Kristall. In einer mit blauem Filz ausgekleideten Box tragen ihn die Forscher Horst Bettin und Manfred Peters in den Raum, es gibt Applaus.

Der unbearbeitete Einkristall

(Bild: PTB)

Aus dem in Russland hergestellten und angereicherten Silizium-28 wurde im Leibniz-Institut für Kristallzüchtung (IKZ Berlin) ein rund sechs Kilo schwerer isotopenreiner Einkristall gezüchtet. Daraus sollen in der Bundesanstalt in Braunschweig in den kommenden Monaten zwei perfekte Kugeln geschliffen werden, die jeweils exakt ein Kilogramm wiegen. Sie werden für einen wissenschaftlichen Wettbewerb um die Neudefinition der Einheit Kilogramm benötigt. Die PTB zählt anhand der Silizium-Kugeln, wie viele Atome sich in einem Kilogramm befinden. So könnte in Zukunft die Einheit des Kilogramms genau über die Atomanzahl bestimmt werden. Das funktioniert, indem man die Avogadro-Konstante NA möglichst genau bestimmt, die angibt, wie viele Atome in einem Mol des jeweiligen Stoffes enthalten sind. Kennt man NA mit hinreichender Genauigkeit, ließe sich mit dem genau vermessenen Volumen (der Kugel), der molaren Masse M und der Teilchendichte n des Materials die Masse m bestimmen: m = (M · V · n)/NA.

Um diese Genauigkeit zu erreichen, muss ziemlicher Aufwand betrieben werden. Bereits 2010 erreichten die Forscher aus Braunschweig im Rahmen des Avogadro-Projekts eine Messung mit einer relativen Messungenauigkeit von 3 · 10–8. Für die Neudefinition des Kilogramms ist jedoch eine Genauigkeit von 1 · 10–8 nötig. Eben dieses Ziel wollen die Mitarbeiter der PTB nun erreichen.

Der Durchmesser der fertigen Kugel wird dann genau vermessen.

(Bild: PTB)

"In der Kugel befinden sich aberwitzig viele Atome. Bisher verzählen wir uns alle 100 Millionen Atome noch um zwei", sagt Simon. Vergleichbar sei das mit jeder Menge Reiskörner, erklären die Wissenschaftler. Ein einzelnes Reiskorn stünde für ein Atom. Nun sollen 100 Millionen Reiskörner abgezählt werden. Bisher haben sich die Forscher dabei um zwei Körner verzählt. Das neue Ziel sei es, sich nur noch um Eines zu verrechnen.

Rund 50 Mitarbeiter des PTB arbeiten an dem Projekt. Weltweit forschen noch weitere Teams an der Neudefinition der Kilogramm-Einheit. Eine Gruppe aus den USA und Kanada benutzt dafür eine sogenannte Watt-Waage. Die bestimmt anhand einer hochgenauen Wägung und interferometrisch kontrollierten Bewegung in einer Magnetfeldspule unter Ausnutzung des Quanten-Hall-Effekts Strom und Spannung, um über die Beziehung m = U · I/(g · v) auf die Masse zu schließen. g ist dabei die Schwerebeschleunigung, v die ermittelte Geschwindigkeit der Bewegung.

"Wir erwarten eine Festlegung der Einheit für Ende 2018", sagt PTB-Wissenschaftler Horst Bettin. Bis aus dem Kristall zwei handliche Kugeln werden, wird einige Zeit vergehen. Eingespannt zwischen zwei Stempelplatten wird pro Minute ein Nanometer von der Oberfläche des Kristalls abgeschliffen. Zum Vergleich: Ein menschliches Haar wächst pro Minute um 200 Nanometer. ()