Netzneutralität: Init7 wehrt sich gegen Kritik der Deutschen Telekom

In der anhaltenden Debatte um Netzneutralität liefert Init7-Chef Fredy Künzler eine ausführliche Entgegnung auf Vorhaltungen der Telekom. Deren Argumente seien irreführend. Der deutsche Betreiber spiele seine Marktmacht aus und kassiere auch noch doppelt.

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Netzneutralität: Init7 wehrt sich gegen Kritik der Deutschen Telekom
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  • Reiko Kaps
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Der Schweizer Netzbetreiber Init7 sammelt Belege für Netzneutralitätsverstöße der Deutschen Telekom – und handelt sich damit Kritik des deutschen Carriers ein. Nun antwortet Init7 auf die Anwürfe der Telekom. Diese klassifizierte in einer Stellugnahme gegenüber heise Netze die von Init7 gesammelten Informationen als Äpfel-und-Birnen-Vergleich ein. "Wenn ich mein Paket von Deutschland nach Frankreich über die USA schicke, brauche ich mich nicht zu wundern, dass es länger unterwegs ist", kommentierte Philip Blank, ein Sprecher der Deutschen Telekom. Blank weiter: "Jeder Anbieter entscheidet selbst, mit wem er sich zusammenschließt. Falls der amerikanische Anbieter die Kapazitäten der Netzzusammenschaltung erhöhen möchte, sind wir dafür offen."

Fredy Künzler, Init7-Chef, äußert sich nun eingehend zur Situation im Provider-Markt, in der er eine Unausgewogenheit zu Gunsten ganz großer Provider ausmacht. Unternehmen wie die France Telecom oder die Deutsche Telekom tanzen auf allen drei Hochzeiten, die für Provider in Frage kommen: Sie sind sowohl bedeutende Transit-, als auch Content- und noch dazu Eyeball-Provider. Der Eyeball-Provider Deutsche Telekom berechnet also seinen Kunden Dienste wie den Internet-Zugang und verlangt gleichzeitig als Transit-Provider Geld von Content-Providern wie Google. Ob ein Provider so handeln darf, wird unter dem Thema Netzneutralität heiß diskutiert.

Eine Folge der so konzentrierten Marktmacht sei laut Künzler, dass selbst der aktuell von Init7 eingesetzte Transsitanbieter TeliaSonera sich nicht in der Lage sehe, größere Traffic-Kapazitäten zur Telekom zu schalten. Bei anderen großen Anbietern sehe es nicht besser aus.

Darf ein Netzbetreiber für denselben Dienst, die Durchleitung von Inhalten, sowohl beim Sender als auch beim Empfänger kassieren? Viele Content-Anbieter (links) können lediglich die Art der Auslieferung wählen, müssen aber letztlich doch die teuren Zusammenschaltungspunkte großer Eyeball-Provider wie der Telekom nutzen, wenn sie deren Teilnehmer beliefern wollen.

Netzbetreiber tragen vor dem Hintergrund der Netzneutralität immer wieder Peering- und Transit-Probleme untereinander aus – beispielsweise warf das US-Unternehmen Level3 der Deutschen Telekom im Herbst 2014 vor, sich nicht um ausreichende Peering-Kapazitäten mit Partnern zu kümmern. Die Telekom meint hingegen, was als Netzneutralität verkauft werde, sei in Wahrheit die Privilegierung großer amerikanischer Internetkonzerne, und zwar zu Lasten von Start-Ups. Denn, so die Telekom weiter, wer deutlich mehr Datenvolumen ins Netz des Partners übergebe als andersrum, solle auch mehr für den Ausbau der nötigen Kapazitäten zahlen.

Unabhängig vom Zwist zwischen Level3 und der Telekom äußert sich nun auch der Chef von Init7 zu diesem Aspekt. Demnach schicken bereits heute sehr viele Netzbetreiber sehr viel mehr Traffic ins Telekom-Netz als umgekehrt. Viele Provider schalten ihre Netze untereinander einfach so zusammen und fordern für die Durchleitung keine Gebühren, wenn der ein- und ausgehende Netzwerkverkehr etwa dem Verhältnis 1:1 entspricht (Peering). Das Verhältnis kippe jedoch schnell zu 50:1, wenn Telekom-Kunden Inhalte von Videostreaming-Plattformen wie Netflix abrufen.

Die Telekom gehöre zwar zu den ganz großen Transit-Anbietern weltweit (Tier-1-Provider) – sie leitet Verkehr kleinerer Betreiber wenn möglich nur gegen Entgelt durch – aber zugleich sei die Telekom auch ein Eyeball-Provider, also ein Netzbetreiber mit einer riesigen Endkundenbasis. Demgegenüber biete die Telekom selbst zwar kaum eigene Inhalte an, so Künzler. "Sie stellt sich aber dennoch auf den Standpunkt, dass der Sender für den Traffic zahlen müsse – auch wenn der Netzwerkverkehr etwa von Telekom-Endkunden angefordert wird, also von dern Empfängern bereits über deren DSL-Rechnung bezahlt ist."

Künzler meint: "Deshalb ist es mittlerweile so, dass kein einziger Tier-1-Anbieter mehr, also Level3, Cogent oder TeliaSonera, über genügend Kapazität zur Telekom verfügt. All diese Anbieter senden viel mehr Traffic ins Telekom-Netz als umgekehrt."

"Unser Transitanbieter", so Künzler weiter, "TeliaSonera, sieht sich deshalb nicht in der Lage, überhaupt noch Kapazität in Richtung Telekom zu verkaufen. Wir würden schätzungsweise 40 bis 60 Gigabit benötigen. Deshalb mussten wir in unserem Transit-Vertrag eine entsprechende Klausel hinnehmen". Die Nachfrage, doch wenigstens ein bisschen Traffic zur Telekom senden zu dürfen, habe TeliaSonera abschlägig beantwortet. Dabei sei man ansonsten sehr zufrieden mit TeliaSonera und habe die Kapazitäten kürzlich auf 100 Gigabit erhöht.

So habe Init7 keine andere Wahl gehabt, als den Traffic zum Telekom-Netz über einen zweiten Transit-Anbieter zu schicken. Die Wahl fiel auf das US-Unternehmen XO Communications. Als dann Engpässe auffielen, stellte sich heraus, dass auch XO nur mit einer 1 GBit/s schnellen Leitung ans Telekom-Netz angeschlossen war. Doch die Telekom weigerte sich anscheinend, Upgrades auf Zero-Settlement-Basis zu schalten. "Das Routing über den US-Anbieter ist selbstverständlich mit 70 Millisekunden mehr Latenz verbunden. Das ist aber nicht das Problem, außer für Gamer. Alle anderen Anwendungen würden gut funktionieren. Das Problem tritt bei der überlasteteten Interkonnektion zwischen XO und der Telekom auf – und an vielen anderen überlasteten Interkonnektionspunkten zwischen der Telekom und praktisch allen anderen Tier-1-Providern."

"Insofern ist das Statement der Telekom zur Latenz nicht relevant. Das eigentliche Problem sind die hohen Paketverluste", kontert der Init7-Chef die Telekom-Anwürfe. So gingen je nach Tageszeit bis zu 100 Prozent der Pakete verloren, beschreibt er die Ergebnisse seiner Messungen. "Die Telekom nimmt dies vorsätzlich in Kauf".

"Schlussendlich zwingt die Telekom uns damit in einen direkten Vertrag, bei dem der Preis pro übertragenen MByte mehr als doppelt so hoch wie bei TeliaSonera liegt." Für "gutes Routing zur Telekom" gebe es auf Marktpreis-Basis letztlich keine Alternative.

"Die Telekom betreibt dieses Spiel seit ein paar Jahren mit kumulierendem Erfolg letztlich zu Lasten ihrer eigenen Endkunden. Es erstaunt, dass man sie gewähren lässt, obwohl sie sich klar gegen die eigenen Kunden wendet", meint Künzler. Er fände es wünschenswert, dass sich Verbraucherschutz, Regulierer und Politik aktiv einmischen. "Weil – und darum geht es letztlich – für die Endkunden ist es frustrierend, wenn sie nur stotternde Videos gucken können. Die Telekom investiert zwar Miliarden in den Netzausbau, dieser macht aber kurz vor der Interkonnektion ins Internet halt." (rek)