Die 3D-Software Blender 2.74 hat die Haare schön

Im Zuge der Arbeit am Animationsfilm-Projekt "Gooseberry" wurde die Haar-Simulation des Open-Source-3D-Pakets Blender überarbeitet. Auch die Echtzeit-Vorschau im Viewport profitiert stark von der Entwicklung.

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Die 3D-Software Blender 2.74 hat die Haare schön

(Bild: wiki.blender.org)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Gottfried Hofmann
  • Peter König
Inhaltsverzeichnis

Die Simulation von Haaren ist ein noch recht junges Feld in der Computergrafik. So entwickelten Disney und Pixar für den Film "Merida" von 2012 ein eigenes Haar-System. Auch im Open-Source-Langfilm-Projekt namens Gooseberry des Blender Institutes spielen Haare, pardon: spielt Wolle ebenfalls eine große Rolle. Im Zuge der Arbeit am Animationsfilm wurde daher die Haar-Simulation des Open-Sorce-3D-Pakets Blender von Grund auf erneuert – sie ist in der frisch veröffentlichten Version 2.74 enthalten.

Haare können nun mit Objekten der Umgebung kollidieren, darüber hinaus lässt eine volumenbasierte Heuristik für Selbst-Kollisionen einzelne Haare untereinander interagieren. Die neue Simulation läuft auch dann stabil, wenn in einem Haar-System gleichzeitig sehr kurze und sehr lange Haare vorkommen oder falls die Haare sehr steif sind. Zudem lassen sich steife Haare jetzt besser virtuell kämmen, da ihre Grundform jetzt auch gebogen angelegt sein kann. Das ist etwa dann nützlich, wenn eine Frisur aussehen soll, als würde Gel oder Haarspray sie versteifen. Haare und Partikelsysteme ganz allgemein können jetzt in Blender von einem Objekt auf ein anderes kopiert werden, wobei auch Bearbeitungen wie zuvor erfolgtes Kämmen erhalten bleiben.

Mehr als nur Haare – die Neuheiten von Blender 2.74 (9 Bilder)

Kind-Haare folgen der Bewegung eines Eltern-Haars und müssen daher nicht gesondert simuliert werden. Deren Form kann in Blender nun grafisch über Kurven definiert werden.
(Bild: http://wiki.blender.org)

Die Echtzeit-Voransicht, auch Viewport genannt, zeigt im OpenGL-Modus auch die Auswirkungen von Ambient Occlusion (AO) und Depth of Field (DoF) an. Bei Ambient Occlusion handelt es sich um den Effekt, dass sich Objekte desto stärker gegenseitig abschatten, je näher sie sich einander befinden. Depth of Field – zu deutsch: Schärfentiefe – macht sich dadurch bemerkbar, dass bei Aufnahmen mit einer Kamera nicht die gesamte Tiefe des Raumes scharf dargestellt werden kann, sondern immer nur ein bestimmter Bereich, der im Fokus liegt. Objekte außerhalb dieses Bereich werden unschärfer, je weiter sie sich davon entfernt befinden.

Blender übernimmt die Fokus-Ebene der Echtzeit-Voransicht von den Einstellungen der Render-Kamera. In Version 2.74 kann man direkt einen Punkt im Sichtfeld auswählen, auf den fokussiert wird, indem man den Mauszeiger über den Entfernungs-Slider bewegt und die Taste "E" drückt. Anschließend kann man auf einen beliebigen Punkt in der Voransicht klicken und Blender stellt darauf scharf.

Im stark erweiterten Outliner von Blender kann man sich jetzt alle Daten anzeigen lassen, die gerade nicht genutzt werden. Normalerweise werden diese beim Speichern nicht gesichert. Um das zu umgehen, kann man ihnen einen sogenannten Fake User zuordnen – hilfreich etwa, um eine Material-Bibliothek aufzubauen. Ein neuer Operator löscht auf Wunsch alle Daten ohne zugeordneten Nutzer; bislang musste man dazu die Datei speichern und neu laden. Da der Operator diese beiden Schritte zusammenfasst, geht über ihn auch die Undo-Historie verloren. Im Outliner lassen sich jetzt ganze Objekt-Hierarchien in einem Rutsch löschen, etwa ein Objekt samt aller zugewiesener Kinder.

Die Render-Engine Cycles wurde in Sachen Tempo und Speicherbedarf optimiert. Das Textur-Mapping kann jetzt von beliebigen Objekten gesteuert werden, Bild-Texturen lassen sich als Kugel oder Röhre auf Objekte legten. Das neue Attribut Pointiness im Geometry-Node weist spitz zulaufenden Teilen eines Oberflächennetzes auf Wunsch einen anderen Shader zu als den flachen Partien. Das ist zum Beispiel nützlich, um Erosion oder Abnutzungen darzustellen, die an Kanten von Objekten verstärkt auftritt. Bisher konnte dieser Effekt nur über Dirty Vertex Colors fest in einem Objekt gespeichert werden – die neue Variante lässt sich hingegen auch animieren und spart ein Ebene von Vertex-Farben.

Blender 2.74 schließt den zweiten Teil der Unterstützung sogenannter Custom Normals ab. Eine Normale ist ein Vektor, der senkrecht zu einem Punkt auf einem Objekt liegt – er ist die Grundlage allen Shadings: Verändert man die Richtung einer Normale, so ändert sich auch das Aussehen eines Objekts. Moderne Spiele-Engines wie UE4 oder Unity nutzen diesen Effekt ausgiebig; aber auch bei Werkzeugen, die CAD-Daten in Polygon-Meshes konvertieren, arbeiten mit Custom Normals, um zum Beispiel Unstetigkeiten an Stellen auszugleichen, an denen einzelne Flicken eines Oberflächengitters aneinanderstoßen.

Blender 2.74 importiert Custom Normals aus FBX- und OBJ-Daten, zeigt sie an und bietet zwei Bearbeitungswerkzeuge dafür. Der Modifier Set Split Normals ordnet Normalen zum Beispiel parallel an, was zu einem flachen Shading führt, wie man es etwa für Cartoon-Renderings benutzt. Hierbei lässt sich auch eine Richtung vorgeben, wodurch sich die Beleuchtung von Objekten ändert, ohne dass eine Lichtquelle verschoben werden muss.

Der Modifier Data Transfer überträgt Daten eines Meshes – unter anderem Normalen, UV-Ebenen, Vertex-Gruppen – von einem Objekt auf ein anderes. In Verbindung mit Custom Normals kann man dadurch zum Beispiel einen abgerundeten Look bei geringen Polygonzahlen erreichen, was etwa bei Computerspielen nach wie vor wichtig ist.

Eine neue Option im Mal-System ähnelt stark der Pointiness in Cycles: Die sogenannte Cavity Mask maskiert eine Textur entsprechend der Spitzheit oder Eckigkeit der umliegenden Geometrie, dadurch können Ecken anders bemalt werden als flache Bereiche. Malt man auf Bilder mit niedriger Farbtiefe wie 8-Bit-PNGs, vermeidet Dithering jetzt Banding-Artefakte. Brushes folgen jetzt auf Wunsch in ihrer Ausrichtung gleichzeitig dem Pinselstrich und weichen doch um einen zusätzlichen und zufälligen Anteil davon ab – bisher war beides nicht gleichzeitig möglich Die beiden Optionen stehen jetzt außerdem auch für Masken zur Wahl.

Der Grease Pencil, der in der vorangegangenen Blender-Version deutlich erweitert wurde, ist nochmals aufpoliert worden. So lassen sich Segmente mittlerweile zwischen Frames, Datensätzen und Ebenen kopieren. Die Dicke eines Striches kann an jedem ausgewählten Punkt über die Tastenkombination Alt+S geändert werden. Der Wechseln zwischen dem Mal-Werkzeug und dem Radiergummi ist jetzt einfacher und die Darstellung im Viewport soll keine Artefakte mehr zeigen.

Die Vorschaubilder von Materialien und Texturen können nun gespeichert werden, was sehr nützlich ist, wenn man eine Material-Bibliothek aufbaut. Im 3D-Viewport kann man Hintergrundbilder rotieren und spiegeln. Das erspart in vielen Fällen, seine Referenz-Bilder vorab in einer Bildbearbeitung anzupassen, bevor man sie in Blender einsetzt.

Der Compositor-Node Plane Track Deform unterstützt jetzt Bewegungsunschärfe und der Motion Tracker filtert Tracks bei Bedarf danach, wie weich ihre Bewegung ist – springende Marker sind so leichter auszusortieren. Die Pie-Menüs stehen inzwischen auch im Tracker zur Verfügung.

In der Game Engine greifen Skripte bei Kollisionen auf den Punkt im Raum und die dazu gehörende Normale zu. Objekte, die Pfaden folgen, vermeiden optional winzige Sprünge in der Bewegung. Beim Aufzeichnen von Screenshots fügt Blender auf Wunsch den Dateinamen eine fortlaufende Nummer hinzu.

Das neue Add-on Auto Tile Size wählt die Größe der Render-Kacheln automatisch passend zur eingesetzten Hardware. Bisher musste man die Größe manuell umstellen – durchaus auch häufiger, wenn man sowohl mit der CPU als auch auf der GPU rendert, da CPU-Rendering eher kleine Kacheln benötigt, während Grafikkarten erst bei großen Kacheln ihre Leistung voll ausspielen können. Das Add-on wählt die Größe zudem so, dass keine dünnen Rest-Kacheln übrig bleiben, die die Hardware nicht vollständig ausreizen.

Das Add-on Import Images as Planes lädt Bilder automatisch als Ebenen-Objekte, die gleich mit passenden Materialien und UVs versehen sind. Für Cycles lädt Blender jetzt auch Videos. Der FBX-Import unterstützt eingebettete Bilder, während große Objekte aus OBJ-Dateien viel schneller als zuvor in Blender auftauchen. Der Exporter für POV-Ray berücksichtigt jetzt auch Voxel-Daten aus Blender, wie sie etwa bei Rauch-Simulationen anfallen.

Neben den beschrieben Neuerungen wurden zahlreiche kleinere Funktionen und Detailverbesserungen an der Bedienoberfläche eingepflegt. Außerdem haben die Entwickler nach eigenen Angaben zusätzlich mehr als 180 Programmfehler aus vorhergehenden Versionen behoben.

Blender läuft unter Windows, Mac OS X und Linux und steht ab sofort in Version 2.74 zum Download bereit. (pek)