Das Ende naht
Der dritte Band von Hugh Howeys Silo-Trilogie ist endlich auf Deutsch erschienen. Darin entscheidet sich das Schicksal der Protagonisten aus Band 1.
- Veronika Szentpetery-Kessler
Der dritte Band von Hugh Howeys Silo-Trilogie ist endlich auf Deutsch erschienen. Darin entscheidet sich das Schicksal der Protagonisten aus Band 1.
„Exit“ zu lesen erfordert eine vorgelagerte Hausaufgabe: Kurz nochmal das Ende von „Silo“ (Band 1 der Serie) nachzuschlagen, um sich das Ende ins Gedächtnis zu rufen: die Rettung und Rückkehr von Juliette Nichols, früher Leiterin der Mechanik-Abteilung und Kurzzeit-Scheriff in Silo 18. Der erste Band führte in das Leben im unterirdischen Gebäude ein. Der zweite erklärte, warum die Menschheit unter der Erde gefangen ist, schrieb aber die Geschichte der ursprünglichen Protagonisten nicht weiter. Das holt Howey jetzt gewohnt realistisch und beklemmend nach. Wie seine Vorgänger lässt sich auch „Exit“ kaum aus der Hand legen. Allerdings weiß nur der Piper Verlag, warum er die Leser so lange auf die Folter gespannt hat. Wer gerne auf Englisch liest, wusste schon vor 2,5 Jahren, wie die Geschichte ausgeht. Wer das Ende noch nicht kennt, könnte das Ganze aber auch sportlich sehen und die beiden Vorgängerbände aus Spaß komplett nochmal lesen.
In „Exit“ sind wir wieder Gegenwart der Hauptfiguren angelangt: Der von Juliette (neue Bürgermeisterin) und ihrem Partner Lukas (neuer Chef der IT-Abteilung) aus Silo 18, Solo und der Kinder aus Silo 17 sowie vom Ex-Kongressabgeordneten Donald und Senator Thurman aus dem ominösen Silo 1. Juliette beginnt als neue Bürgermeisterin prompt damit, sämtliche Tabus der Silo-Gesetze zu brechen, um Solo und die Kinder wie versprochen aus dem bestraften Silo 17 herüberzuholen. Sie lässt die Wand ihres eigenen Silos auf der untersten Ebene durchbrechen und will mit der riesigen Tunnelbohrmaschine dahinter, die noch die alten „Götter“ dort eingelagert haben, zu ihren Freunden vorstoßen.
Statt Verständnis schlägt ihr jedoch offene Feindseligkeit entgegen. Die Silobewohner haben Angst, dass ihnen von außen der Tod droht. An andere Silos glauben sie nicht, der Überlieferung nach ist ihrer der einzige. Diese Angst schürt der Klerus nach Kräften. „Ein Priester aus der Mitte des Silos hält wöchentlich zwei Messen ab, um vor den Gefahren zu warnen – seine Vision ist, dass der Staub in den Silo dringt und Tausende sterben werden“, erzählt Lukas Juliette. Sie hat allerdings genug von den Bevormundungen und den barbarischen Hinrichtungen. Sie will wissen, ob die Erde nicht längst wieder bewohnbar ist. Als sie es jedoch tatsächlich im ersten Schritt schafft, Solo und die Kinder rüberzuholen, kippt die Stimmung vollends gegen sie.
Im Haupt-Silo 1 versucht der todkranke Donald derweil, Juliette zu decken und mehr über den perfiden Plan der Silo-Erbauer herauszufinden: Warum darf nur ein Silo überleben, während alle anderen inklusive Nummer 1 vernichtet werden sollen und nach welchen Regeln wechselt die Rangfolge fast wöchentlich? Er versteht inzwischen aber nur zu gut, dass Senator Thurman und seine Komplizen in einem gigantischen Experiment eine Art Reset-Schalter drücken wollten. Die Nanobot-Technologie wurde zwar ursprünglich zu Heilzwecken entwickelt. Sie war aber so weit fortgeschritten, dass es nur noch eine Frage der Zeit zu sein schien, bis sie jemand als Massenvernichtungswaffe einsetzen würde. Deshalb hatten Thurman und seine Anhänger zum Präventivschlag ausgeholt, auch gegen die eigene Bevölkerung, und einen letzten Rest der US-Bewohner in die Silos gezwungen, damit sie dort im Verlauf von Jahrhunderten die Technologien von einst vergessen und später die Erde neu bevölkern. Ist das Experiment am Ende auch ein gigantisches Zuchtprogramm, in dem ein besserer Mensch entstehen soll?
Donald, der das weltweite Genozid damals miterlebt und die Jahrhunderte im Kälteschlaf überbrückt hat, will einen neuen Massenmord verhindern. Ihm läuft jedoch die Zeit davon, denn in seinem Blut kämpfen die guten Nanobots, die ihn im Cryopod am Leben gehalten haben, mit den bösen Nanobots, die er sich bei einem Selbstmordversuch per Außenwelt-Spaziergang eingehandelt hat. Letztere sind dabei, zu gewinnen. Er will die Verwechslung, durch die ihn alle für Senator Thurman halten, dafür nutzen, Buße zu tun. Doch dann kehrt der echte Thurman gleichsam von den Toten wieder. Donald hatte ihn in der Kälteschlaf-Abteilung erschossen, doch die Heil-Nanobots retteten ihm offenbar das Leben. Und Thurman hat nicht vor, die Bewohner von Silo 18 länger am Leben zu lassen.
Howey nimmt in Band drei wieder ordentlich Fahrt auf und hat wieder einen solider Sci-fi-Thriller geschrieben. Es geht weiter um die großen Fragen, die er schon in den ersten zwei Bänden angeschnitten hat: Lassen sich Unterdrückung und Dummhalten der Massen rechtfertigen, um ein (vermeintlich) höheres Ziel zu erreichen? Dürfen ein Staat oder einige Individuen, die sich für auserwählt halten, über das Schicksal der Welt entscheiden? Kann die Menschheit lernen, die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden? Wie aber soll sie über sich hinauswachsen, wenn sie nicht wissen darf, was sie getan hat? Howey gibt nicht auf alles eine Antwort. Aber das muss er auch nicht. Zum Glück hat er auch kein allseligmachendes Hollywood-Ende geschrieben. Aber die Geschichte wird anders ausgehen, als es die Götter geplant haben.
Hugh Howey, "Exit", Piper Verlag, 464 Seiten, 19,99 Euro (vsz)