Post aus Japan: Start-up-Nation Nippon

Das "Slush"-Festival aus Finnland gilt als Woodstock für Gründer. Der erste ausländische Ableger wurde nun ausgerechnet in Japan gestartet. Die Stimmung auf der "Slush Asia" in Tokio zeigt, dass sich die hiesige Start-up-Szene zu Recht vor einem Boom wähnt.

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Von
  • Martin Kölling

Das "Slush"-Festival aus Finnland gilt als Woodstock für Gründer. Der erste ausländische Ableger wurde nun ausgerechnet in Japan gestartet. Die Stimmung auf der "Slush Asia" in Tokio zeigt, dass sich die hiesige Start-up-Szene zu Recht vor einem Boom wähnt.

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus – und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends.?

Wenn es um Start-ups geht, starrt die Weltöffentlichkeit noch immer erwartungsvoll aufs Silicon Valley oder scoutet neuerdings in Berlin. Doch dies könnte sich bald ändern. "Wir stehen vor einer dritten Start-up-Welle – und die wird in Asien stattfinden", sagte Tom Wehmeier vom Venture-Capital-Investor Atomico vorige Woche in Tokio.

Böse Zungen mögen anmerken, dass der Start-up-Experte damit nur seinen Gastgebern nach dem Mund redete. Schließlich saß er vorigen Freitag als Sprecher auf dem Podium eines Start-up-Festivals in Japans Hauptstadt, des ersten "Slush Asia". Doch dass dieses Event überhaupt stattfand, demonstriert, dass Wehmeier mit seiner Einschätzung nicht allein ist. Denn das Original in Finnland ist nicht irgendeine Start-up-Veranstaltung, sondern das Woodstock der Venture-Capital-Szene. Und der erste Ableger findet nicht von ungefähr in der am schnellsten alternden Industrienation der Welt statt.

Die erste "Slush" ging 2008 in Finnland über die Bühne. Den Namen haben sich die Veranstalter von der Jahreszeit entlehnt: Slush (Schneematsch) findet im ungemütlichen Monat November statt, der nicht mehr Herbst, aber auch noch nicht ganz Winter ist. Dennoch zelebrierten voriges Jahr 14000 Studenten, Investoren und einige hochrangige Politiker die neuesten Start-ups.

Wegen des Andrangs und des Charakters der Messe, die von Freiwilligen unentgeltlich organisiert wird, sehen die Finnen Slush nicht als Veranstaltung, sondern als Bewegung. Slush solle die Gründer feiern wie Rockstars der 68er-Generation, sagte mir ein finnischer Veranstalter.

Auch Sendungsbewusstsein ist mit im Spiel. Doch während die Bands jener Zeit mit Musik die Welt verändern wollten, will die Jugend von heute es mit Unternehmertum tun – und nebenbei auch noch reich werden. Ein wichtiger Aspekt der Happenings sind knallharte Geschäfte: Bei der Slush in Finnland habe es mehr als 3000 Treffen zwischen Start-ups und Investoren gegeben, erzählte mir der Vorsitzende der Slush-Stiftung, Illka Kivimäki, bei seinem Japan-Besuch.

In Finnland hat Slush erfolgreich eine Kulturrevolution gefördert, die der Nation über den Niedergang Nokias hinweghilft. Nach der Nahtoderfahrung des einst größten Handyherstellers der Welt schießen nun neue Unternehmen ins Kraut. Ein Viertel der europäischen Start-ups sind in Finnland beheimatet.

Peter Vesterbacka, einer der Initiatoren von Angry-Bird-Erfinder Rovio und Vater der Slush, sieht die Veranstaltung als Triebkraft dieses Wandels. 2007 habe er bei einer Gastvorlesung an einer Universität die Studenten gefragt, wer sich selbstständig machen wollte. Gerade drei Hände gingen hoch. Man müsse etwas tun, sagte er sich – und gründete mit Gleichgesinnten das Event. Als er 2013 die gleiche Frage stellte, meldete sich die Hälfte der rund 600 Anwesenden, erinnert sich Vestabacka.

Doch kann Slush dieses Kunststück auch in Japan wiederholen? Die Liste der Einwände ist lang: Japans Bevölkerung schrumpft; der Wirtschaft fehlt die Dynamik; die Gesellschaft ist konservativ, hierarchisch und auf Konsens bedacht; die Jugend ist nicht zum Risiko bereit, sondern sucht Zuflucht bei Großkonzernen; die Japaner können kein Englisch und geben sich nur allzu leicht mit ihrem riesigen Heimatmarkt zufrieden.

Aber Taizo Son, der japanische Organisator von Slush Asia, meint, dass Japan vor einer neuen Gründerwelle steht. "Nach 20 verlorenen Jahren hat endlich eine neue Ära für Start-ups in Japan begonnen", sagt er. Und sein Wort sollte man nicht einfach als Propaganda oder Pfeifen im Wald abtun. Denn Son ist selbst ein Seriengründer, einer der größten Inkubatoren des Landes und nebenbei auch noch Vorstandsvorsitzender der Firma GungHo, die sehr erfolgreich Spiele für Smartphones entwickelt. Gemeinsam mit Softbank, dem globalen Mobilkonzern seines älteren Bruders Masayoshi Son, hat Sons GungHo 2013 für etwa zwei Milliarden Euro die Mehrheit am aufsteigenden finnischen Spielestar Supercell gekauft. Das Unternehmen dankte dieses Vertrauen, in dem es 2014 seinen Umsatz auf 1,5 Milliarden Euro verdreifachte.

Ich stimme Son zu, denn der Boden ist besser für Start-ups vorbereitet als Japans Ruf glauben macht:

1. Japan hat eine lange Start-up-Tradition: Nach dem Krieg wurden Konzerne wie Sony oder Honda gegründet. Auch der vor dem Krieg etablierte Autobauer Toyota war zu Anfang wenig mehr als eine Garagenfirma. Zudem hat es auch in der New Economy schon drei erfolgreiche Gründerphasen gegeben: Softbank stammt aus den 1980er Jahren, die globale Online-Shopping-Mall Rakuten von Hiroshi Mikitani aus den 1990er Jahren. Und im mobilen Internet ist Japan bis heute eine Großmacht, die in den vergangenen zehn Jahren viele neue Firmen groß gemacht hat. Es gibt also inzwischen drei Start-up-Generationen als Vorbilder.

2. Die Elektronikkonzerne haben bewiesen, dass sie nicht der sichere Hafen sind, für den viele sie gehalten haben. Panasonic scheint zwar nach hohen Verlusten und diversen Sparrunden die Kurve zu kriegen und schaltet wieder auf Angriff um. Aber der Flach-TV-Pionier Sharp sucht in seinem Überlebenskampf mal wieder verzweifelt nach frischem Kapital. Und Sony hat 2014 erneut einen riesigen Verlust geschrieben. Das macht kleinere Unternehmen interessanter.

3. Die Regierung fördert den Start-up-Geist politisch, strukturell und finanziell. Man mag vom nationalistischen Geschichtsrevisionisten Shinzo Abe halten, was man will. Aber die Start-up-Szene Japans sieht ihn unisono als ihren Verbündeten. Denn Abe will Start-ups fördern, um Japans Wirtschaft wieder stark zu machen (und sich ein starkes Militär leisten zu können). "Er richtet die Scheinwerfer der Öffentlichkeit auf uns", sagt einer der Slush-Asia-Organisatoren.

Tatsächlich ist Abe Stammgast auf dem globalen New Economy Summit, den Rakuten-Chef Mikitani ins Leben gerufen hat. Andere hoffen, dass die versprochenen Strukturreformen bestehende Hürden gegen neue Produkte und Dienstleistungen beseitigen, so dass die neuen Unternehmen in Japan wachsen können.

Auch finanziell tut sich was. Halbstaatliche Investmentsfonds haben neben der Sanierung von alten Firmen auch die Aufgabe, neue Unternehmen zu fördern. Diverse Ministerien legen eigene Start-up-Fonds auf. Universitäten und Forschungsinstitute suchen die Nähe zu Venture-Funds, um Forschungsergebnisse zu versilbern. Und plötzlich ist Geld da, das der Szene lange gefehlt hat.

4. Japan hat eine Tradition in Einstellungen und Bereichen, die wichtig für Start-ups, aber gesellschaftlich nur schwer zu erlernen sind: Kreativität, manchmal sogar kombiniert mit der Entwicklung erfolgreicher Geschäftsmodelle; extremer Kundenfokus; Qualitätsbewusstsein; hohes technisches Knowhow in einer Breite und Tiefe, die weltweit Spitze sind; eine lange Geschichte in der Herstellung von Dingen; hohe Technikbegeisterung – um einige zu nennen.

Und was noch fehlt, also Mut, Englisch und Selbstdarstellung, kann man lernen. Genau da setzt überdies die Slush Asia an. Das Event fand mit Absicht auf Englisch statt. Die japanischen Teilnehmer sollten so von Beginn an zu einer globalen Sicht gezwungen werden. Auch das Teilnehmerfeld am Start-up-Wettbewerb war daher mit Absicht international. Der erste Preis ging an ein Unternehmen aus Taiwan. Japanische Start-ups heimsten Platz zwei und drei ein.

Das Gewimmel in den fünf Plastikdomen des Festivals zeigte, dass die Idee ankommt. Gerade bei der Jugend. Zwei gerade 20 Jahre alte Gründer der elitären Universität Tokio erzählten mir, dass es immer mehr junge Firmenchefs gebe. Sie reize, ihr Leben selbst bestimmen zu können und ohne die Tortur einer langen Beamten- oder Firmenkarriere schon in jungen Jahren gesellschaftliche Probleme angehen zu können – unternehmerisch eben.

Auf dem Land sollen nun sogar einige Schulen ihre Schüler anhalten, Firmen zu schaffen. Nun bleibt nur noch zu hoffen, dass die Bewegung eine ähnliche Eigendynamik entwickelt wie in Finnland. Und wer weiß: Vielleicht schwappt dann in ein paar Jahren wirklich eine neue Gründerwelle von Japan über den Globus. ()