Gigabit-DSL: Die Technik wird praxisreif, Experten zweifeln aber an Bedarf und Rentabilität

Mit einem noch breiteren Frequenzband als VDSL erreicht die G.fast-Technik Gigabit-Niveau auf der Kupferdoppelader. Damit übertrumpft sie Kabelanschlüsse. Doch manche Experten sehen noch gar keine Anwendungen für so hohe Datenraten.

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Gigabit-DSL: Technik verfügbar, Experten zweifeln aber an Bedarf und Rentabilität
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Dusan Zivadinovic
Inhaltsverzeichnis

Die G.fast-Technik, mittels der sich über gewöhnliche Kupferdoppeladern auf kurzen Strecken Gigabit-Geschwindigkeiten erzielen lasen, bahnt sich allmählich den Weg zum praktischen Einsatz. Für herkömmliche Netzbetreiber, die lediglich über Telefonleitungen zu Teilnehmern verfügen, erscheint sie sehr verlockend, weil sie gegenüber dem Glasfaserausbau günstiger erscheint und die Nutzung der Kupferdoppeladern noch einige Jahrzehnte verlängern kann.

Doch Experten sind sich nicht einig, wie effizient sich die Technik wirklich gegenüber Glasfaseranschlüssen schlägt und ob G.fast bereits jetzt wirklich gebraucht wird – noch gebe es gar keine Anwendungen, die mehrere Hundert MBit/s benötigen, lautet ein beliebter Einwand. Dieses Argument lässt sich immerhin leicht entkräften: Eine einzelne derart bandbreitenhungrige Anwendung gibt es zwar nicht (Beispiel: schnelle Online-Backups sind zwar nützlich, doch langsame Online-Backups tuns auch), aber viele kleine und mittlere Unternehmen und auch ambitionierte Haushalte kommen mit VDSL und VDSL-Vectoring schon mit üblicher Internet-Nutzung nur schlecht aus, weil die Anschlüsse zu viele Nutzer zugleich belegen. Oder weil die Nutzer Wert legen auf umgehende Übertragung auch sehr großer Dateien, sei es von der Firma ins Heimbüro oder von daheim in die Cloud.

Ein üblicher Ausweg aus dem Dilemma sind Kabelanschlüsse, die wenigstens in Empfangsrichtung aktuell bis zu 200 MBit/s erreichen und in Experimenten bereits das Doppelte erzielt haben. Mittelfristig peilen Kabelnetzbetreiber 1 GBit/s an. In Ländern mit starkem Wettbewerb (Niederlande, Österreich, Großbritannien, ...) verzeichnen Kabelnetzbetreiber zurzeit drei Mal so viele neue Breitbandteilnehmer wie die eingesessenen Telco-Unternehmen an neuen DSL-Teilnehmern. G.fast dürfte also vor allem den Netzbetreibern als Rettung erscheinen, deren Teilnehmerzahlen zu Gunsten von Kabelnetzbetreibern schrumpfen und die zugleich die Investitionen in den Glasfaserausbau scheuen.

Auf Gigabit-Niveau kommen G.fast-Entwickler übrigens dadurch, dass sie Sende- und Empfangsrichtung beherzt zusammenzählen. Auf Strecken bis rund 200 Meter kommen bei ausgesucht guten Kupferleitungen so rund 1000 MBit/s zusammen. Die Sende- und Empfangsrichtung können Netzbetreiber dabei in weiten Bereichen frei konfigurieren. Was man von G.fast erwarten kann, etwa neue Tarife oder höhere Uplink-Geschwindigkeiten, haben wir im Beitrag "Gigabit-Internet auf der Telefonleitung: Was G.fast verspricht" beleuchtet.

Doch manche G.fast-Installationen könnten teuerer werden als Fiber-to-the-Home, also Glasfaseranschlüsse bis ins Heim, meint Rupert Wood von Analysis Mason. Glasfasern müssen auch für G.fast in 200 bis 250 Meter Entfernung zu den Haushalten geführt werden. In manchen Fällen kann es dann günstiger sein, sie gleich ganz bis zum Kunden zu verlegen. Denn zu den Verlegekosten kommen bei G.fast auch noch Investitionen für die FTTdp-Cabinets (Fibre To The Distribution Point), also die Umsetzer, die das elektrische Signal vom Kunden zum optischen Signal wandeln und ins Kernnetz des Betreibers weiterreichen.

Die sind zwar gegenüber den für DSL entwickelten DSLAMs aus Sicht von Netzbetreibern schlauer entworfen, weil sie den Strom über die Telefonleitung vom Kunden beziehen und damit geringere Betriebskosten bei Telekom & Co verursachen, aber übrig bleibt der dicke Batzen für die Geräteanschaffung, Installation, Einrichtung und Wartung. Fachleute schätzen daher, dass die Kosten für G.fast-Anschlüsse im Mittel zwischen VDSL- und Glasfaseranschlüssen (FTTH) liegen. Ronan Kelly vom Netzwerkzulieferer Adtran, meint, dass VDSL mit 300 bis 500 US-Dollar pro Teilnehmer zu Buche schlägt, FTTH mit 1200 bis 1600 US-Dollar.

Dennoch setzen einige Netzbetreiber auf G.fast. Dabei sind nichteinmal die Chip-Hersteller mit ihren G.fast-Bausteinen fertig, sodass Gerätekosten noch offen sind. Bisher haben die Protagonisten – Broadcom, HiSilicon, Ikanos, Lantiq, Metanoia, Realtek und Sckipio – lediglich erste Interoperabilitätsprüfungen absolviert. Mit dem Start der Massenfertigung rechnen Beobachter erst ab dem zweiten Halbjahr 2015. Sckipio meint dennoch, Anschlusskosten auf Höhe von VDSL versprechen zu können.

Noch ist die Massenfertigung nicht angelaufen, aber der Chip-Hersteller Sckipio glaubt, dass Anschlusskosten für G.fast auf dem Niveau von VDSL-Anschlüssen liegen werden. Netzbetreiber lockt die Firma außerdem mit kürzeren Installationsfristen gegenüber der Glasfaser.

(Bild: Sckipio)

Immerhin können Netzbetreiber schon in eigenen Feldtests prüfen, ob und wie gut sich die Angebote der Hardware-Hersteller für ihre Zwecke eignen. Beispielsweise haben in Europa Telekom Austria, die niederländische KPN, British Telecom und auch die Deutsche Telekom Feldtest gestartet.

British Telecom will in Großbritannien in den kommenden zehn Jahren "einen Großteil" der Haushalte mit G.fast-Anschlüssen ans Internet anbinden. Zwei Feldtests in Huntington, Cambridgeshire und Gosforth, Newcastle, sollen ab diesem Sommer Klarheit über die Praxistauglichkeit der Technik bringen. Rund 4000 Haushalte und Geschäfte sollen dann auch Aufschluss darüber geben, was für Geschwindigkeiten G.fast tatsächlich liefern kann. Wenn die Testläufe positiv verlaufen, soll der großflächige Einsatz in 2016 oder 2017 beginnen.

Erste Erfahrungen in Laborumgebung sammelte BT bereits im September 2014. Über eine 19 Meter lange Strecke lieferten Prototypen Downstream rund 800 MBit/s und Upstream über 200 MBit/s. Auf 66 Meter Entfernung waren noch 700 und 200 MBit/s zu verzeichnen. In der Schweiz hat die Swisscom ihren ersten Feldtest unter Einbeziehung von Kunden Ende April gestartet. Im Dorf Bibern der Gemeinde Buchegg, das rund 250 Einwohner zählt, surfen Kunden via G.fast mit bis zu 500 MBit/s.

Ob und wann G.fast in Deutschland kommt, ist offen. Interessierte Netzbetreiber müssen nicht nur Kosten gegen Nutzen abwägen, sodern vermutlich auch eine Regelung der Bundesnetzagentur abwarten. G.fast verursacht wegen des hochfrequenten Betriebs ebenfalls starke Nebensprechstörungen und kann daher nur im Vectoring-Modus eingesetzt werden, der die Störungen durch koordinierte Signalübertragung senkt. Weil die Koordination nach aktueller Auslegung nur zentral von einem einzigen Netzbetreiber erfolgen kann, hat dieser zugleich die Hoheit über ein ganzes Kabelbündel. Damit unter solchen Bedingungen dennoch Wettbewerb unter Netzbetreibern aufrecht erhalten bleibt, hat die Bundesnetzagentur schon für VDSL-Vectoring entsprechende Regeln festgelegt. Für G.fast könnten sie ähnlich aussehen. (dz)