Droht uns ein Blackout?

Ob fehlender Netzausbau die Versorgungssicherheit gefährdet, ist unter Fachleuten umstritten. Zwei konträre Standpunkte.

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Ob fehlender Netzausbau die Versorgungssicherheit gefährdet, ist unter Fachleuten umstritten. Zwei konträre Standpunkte.

Ja.

Urban Keussen ist Vorsitzender der Geschäftsführung des Übertragungsnetzbetreibers Tennet TSO GmbH, Bayreuth.

Diese Frage können wir als Übertragungsnetzbetreiber nur mit einem klaren Ja beantworten. Obwohl die Versorgungssicherheit in Deutschland noch nicht akut gefährdet ist, hat sich das Gefahrenpotenzial für das Stromnetz und für die Versorgung im Vergleich zu vergangenen Jahren deutlich erhöht.

Zwei wesentliche Gründe sind dafür ausschlaggebend: Erneuerbare Energien werden im Zuge der Energiewende sehr erfolgreich ausgebaut. Das gilt vor allem für Windenergie im Norden Deutschlands – an Land und zunehmend auch auf See.

Gleichzeitig fällt durch den Ausstieg aus der Kernenergie konventionelle Kraftwerksleistung in großem Maße weg. Dadurch entsteht ein zunehmendes Nord-Süd-Gefälle bei der Erzeugung und beim Verbrauch des Stroms. Dieses Gefälle wird sich weiter verstärken, wenn bis 2022 auch die letzten neun Kernkraftwerke vom Netz genommen werden. Sechs dieser Kraftwerke stehen im Süden Deutschlands. Das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld in Bayern wird als nächstes noch in diesem Jahr abgeschaltet.

Als Folge der Abschaltung der Kernkraftwerke werden die südlichen Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg in einigen Jahren knapp 40 Prozent, Hessen sogar deutlich über 50 Prozent des Strombedarfs importieren müssen. Gleichzeitig entsteht in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Brandenburg und Sachsen ein erheblicher Erzeugungsüberschuss an Strom, vor allem aus erneuerbaren Energien. Dieser Strom kann jedoch nicht abtransportiert werden, weil dafür schlichtweg die Netze fehlen.

Die Erzeuger des Stroms aus erneuerbaren Energien werden für die entgangene Vergütung entschädigt. Paradox ist, dass diese Energie an anderer Stelle neu produziert werden muss und wiederum Geld kostet. Bezahlen muss das der Stromkunde.

Das Gefahrenpotenzial für das Stromnetz bekommen die Kollegen in den Schaltleitungen, in denen das Netzsystem kontrolliert und gesteuert wird, tagtäglich zu spüren. Seit 2011 hat sich die Zahl der Eingriffe ins Netz mehr als verdreifacht. Es erfordert immer größere Anstrengungen, für Stabilität zu sorgen. Mittlerweile muss TenneT in seinem Versorgungsgebiet rund 1.000-mal im Jahr ins Netz eingreifen, um es stabil zu halten. Das ist knapp dreimal pro Tag.

Mit den Eingriffen vermeiden die Übertragungsnetzbetreiber eine Überlastung von Leitungen, die sonst zu größeren Stromausfällen führen würde. Diese Eingriffe sind jedoch ganz klar Notmaßnahmen. Sie sind nicht dazu geeignet, das Netz auf die nächsten Jahrzehnte hinaus sicher und nachhaltig zu steuern. Zudem kosten diese Notmaßnahmen einen dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr, der wiederum über den Strompreis beglichen wird.

Das einzige Gegenmittel ist ein zügiger Ausbau des Stromnetzes. Wir brauchen neue Leitungen, um die Ziele der Energiewende zu erreichen. Und die Weichen für die nahe Zukunft müssen jetzt gestellt werden. Nur so lassen sich Netzstabilität und Versorgungssicherheit in Deutschland auf einem weiterhin hohen Niveau garantieren.

Und das sehen nicht nur wir als Übertragungsnetzbetreiber so. Die Berechnungen der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber zum Bedarf des Netzausbaus werden von der Bundesnetzagentur, einer unabhängigen Behörde, überprüft. Im Bundesbedarfsplangesetz legt der Gesetzgeber fest, für welche Projekte ein vordringlicher Bedarf besteht. Aktuell sind das 36 Projekte. Zu deren Umsetzung sind die Übertragungsnetzbetreiber gesetzlich verpflichtet.